Zurück nach 1954. Rudolf Schock gilt nach dem Film "Du bist die Welt für mich" weit und breit als berühmter Sänger, der Nachfolger des inzwischen legendarischen Richard Tauber. Schock singt in Taubers Tradition, genauso wie Schock auch in der Tradition anderer namhaften Tenöre steht, wie Jan Kiepura, Helge Roswaenge, Josef Schmidt u.a. Die Tenorerfolge aus Opern und Operetten ('Der Tenor und seine Lieder' ist der Titel von Schocks erster Solo-Langspielplatte) klingen wie von alters her.
Jüngere Generationen geraten in seinen Bann, unter ihnen viel Teenager. In Zeitschriften für Teens (u.a. 'Tuny Tunes' in den Niederlanden) wird Schock als Idol präsentiert.
(Ich erinnere mich an einen Bericht über einen Auftritt in irgendeiner deutschen Riesenhalle zusammen mit damaligen Favoriten wie Peter Kraus & Conny Froboess - Aus Conny Froboess würde später noch eine eindrucksvolle Schauspielerin wachsen - und den ersten deutschen Epigonen amerikanischer Rock&Roll-Stars. Noch sehe ich den Text vor mir: "....und für wen gerieten die Jugendlichen ausser sich (buchstäblich aus dem Niederländischen: rissen die Jugendlichen den Saal ab)? Für Rudolf Schock!").
Prof.Dr. Elmar Buck, Direktor der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Kölner Universität, sagte es 2005 bei der Eröffnung einer Foto-Ausstellung zum 90. Geburtstag von Rudolf Schock in seiner Ansprache so: "Als ich klein war, war Rudolf Schock ganz gross".
Zehn Jahre später. Es ist 1964. Vor dem Krieg gab es die Kombination Richard Tauber und den Komponisten/Dirigenten Franz Lehár. Jetzt gibt es die Kombination Rudolf Schock und den Komponisten/Dirigenten Robert Stolz.
Schock sollte eigentlich nicht mehr als Nachfolger Taubers betrachtet werden. Er ist kein zweiter Richard Tauber, sondern kein Geringerer als der erste Rudolf Schock.
Seine Popularität in den Sechzigern ist grösser als je. Im Fernsehen kann man ihn oft sehen und hören.
Einige Musikkritiker, die die Kritik schon früher namentlich auf Einflüsse richteten, die von der Aussenwelt auf den Sänger zu kamen (Produzenten, die ihn dazu verführten, auf der Schallplatte 'Schnulzen' zu singen, und die aus ihm einen 'Filmhelden' machten; hysterische Fans, denen es gelang, sich in die Operntempeln zu drängen), registrieren (nur allzu gern?) stimmliche Probleme beim unermüdlichen Rudolf Schock, der inzwischen ein Mann mittleren Alters ist (siehe auch 'RUDOLF SCHOCK: SÄNGER und DARSTELLER (3)').
(In diesem Zusammenhang ist es interessant einen Abstecher zur überwältigenden Maria Callas (1923-1977) zu machen. In einer diskographischen Biographie dieser unumstritten legendären Sängerin (únd Schauspielerin) in Fonoforum vom September 2007 stellt Bjørn Woll fest, dass der Karriereverlauf von Callas Mai 1949 anfing und 1974 beendet wurde. Ihre stimmlichen Probleme ('Kampf gegen die Stimme') treten aber seit Mitte der 1950er Jahre schon ('zu deutlich') in den Vordergrund.)
Die Teens der sechziger Jahre mögen keine Oper und gar nicht die Operette. Nach ihrer Meinung ist das (spiess)bürgerliche Musik für ältere Leute. In Deutschland wird der oft Operette singende 'Rudolf Schock des Bildschirms'zum Symbol dieses Genres. In manchem Wohnzimmer seufzen Heranwachsende unter dem 'altbackenen' musikalischen Geschmack der Eltern. Wir leben ja jetzt in den revolutionären Sechzigern, worin Jung und Alt (aber jedenfalls Jung!) mit der Zeit gehen und sich einer dynamisch-neuen Gesellschaft gegenüber aufgeschlossen zeigen sollen? Es gibt heutzutage Gottseidank endlich eine eigene Jugendkultur und also auch eine ganz andere Musik, die der Jugend selber gehört!
Schock, 'der Wirtschaftswundertenor', wird gleichsam auf die 'muffigen fünfziger Jahre' festgenagelt, auf die Jahre des Wiederaufbaus, der 'kleinbürgerlichen Familien unter der Lampe um den grossen Tisch herum', die glücklich damit waren, dass sie wieder mehr oder weniger miteinander vereinigt waren, auf die Jahre des 'Rosenkohlgeruchs' (nennen nur die Niederländer diese Jahre so?), der 'unaufhörlichen Langeweile' und der 'vollkommenen Farblosigkeit'.
Gegen eine solche unmögliche Periode wehrt man sich ja doch?!
Und dann verstehen wir noch einmal, was Prof. Buck meint, wenn er sagt: "Als ich grösser wurde, versuchte ich Rudolf Schock mir kleiner zu machen. Die Rockgruppe 'Rudolf Rock und die Schocker' sprachen mir mehr aus dem Herzen....Zu meinem Erstaunen schwärmte mein - von mir verehrter - akademischer Lehrer aber immer wieder von Rudolf Schocks hinreissendem Tamino".
(Immerhin bin ich der Meinung, dass das deutsche Fernsehen der sechziger und siebziger Jahre Rudolf Schock oft in einer Weise präsentierte, die ihm eigentlich nicht angemessen war. Das einzigartige Zusammengehen vom 'Opernsänger und Chansonnier in einer Person' (nach Rudolf Schocks Meinung eine Voraussetzung für das gekonnte Singen von Operette und der sogenannten "leichten Musik') kam durch das damals übliche Playback-Verfahren eingeschränkter zum Ausdruck. Das herzbewegende Singen von Schock-live und sein herzerfreuender Charme (Fernsehaufzeichnungen bis tief in die achtziger Jahre zeigen uns das) waren ein Erlebnis, das - auch noch aus jedem sinnvollen musikdramatischen Zusammenhang gerissen - in mancher Fernsehshow nicht immer völlig nachempfunden werden konnte. Noch einmal an die Callas denkend, bin ich völlig darüber im klaren, dass das für sie auch gegolten hätte. Ganz anders war es damals - genauso wie bei den Filmen aus den Fünfzigern - mit den Fernsehausführungen vollständiger Opern und Operetten bestellt. Selbst die Playback-Verfahrensweise war nicht imstande Schocks grosse, dramatische Allüre zu beeinträchtigen.
Zwanzig Jahre später. Wir sind jetzt schon im Jahre 1984. Rudolf Schock wird nächstes Jahr siebzig. Noch immer ist er ein gern gesehener Gast in Fernsehprogrammen. Damenillustrierte berichten über das Wohl und (viele) Wehe in der Familie.
Aber unter den Vielen, die Rudolf Schock bewundern, macht sich das Gefühl breit, der Sänger werde falsch beurteilt (Gerald Köhler 2005: "...die Kritik ist (zu) schnell und die Klassifizierung oberflächlich"). Ärger wächst über die Tatsache, dass Schocks Bedeutung wiederholt verringert wird.
Ein Beispiel aus eigener Erfahrung:
Ich trete in Rotterdam am Anfang der 80er Jahre ins renommierten Schallplattenspezialgeschäft, und erkundige mich bei einer sachverständig aussehenden Dame nach der integralen Aufnahme von der Oper 'Carmen' mit Rudolf Schock. Sie schaut mich ungläubig an und murmelt mitleidig: "Aber Rudolf Schock? Der singt doch nur Operette?" Ich antworte (und es stürmt bis tief in meine Seele): Christa Ludwig singt die Carmen und Hermann Prey....".
Die sachverständige Dame fragt, wobei in ihrer Stimme unüberhörbar Spott mitschwingt, einen männlichen Kollegen, ob er wohl einmal von einer 'Carmen' mit Christa Ludwig und (mit dem Äussersten an Unglauben in Augen und Stimmklang) Rudolf Schock gehört hat.
Dieser guckt mich zuerst bestrafend an und sagt dann fast empört: "Ich glaube nicht, dass eine solche Schallplatte existiert".
Die kleinen Jungen und Mädchen aus den Fünfzigern ("Als Rudolf Schock ganz gross war") und aus den Dezennien danach sind mit Schock im Fernsehen und Schock auf dem Plattenspieler ihrer Eltern und Grosseltern aufgewachsen.
Sie sind Bankdirektor geworden, IT-Spezialist oder Direktor einer theaterwissenschaftlichen Universitätssammlung. Es ist ihnen gelungen, Produzent von Fernsehshows oder vielleicht Musikkritiker zu werden. Sie haben sich vielleicht nie in die vielen Tonträger mit Rudolf Schock vertieft, die sich doch als stark genug erwiesen, den Wandel der Zeiten zu überleben. Vielleicht haben sie die Chance, sich zu vertiefen nie bekommen, weil im Rundfunk und Fernsehen so etwas wie eine Schock-Stille entstand. Und vielleicht sind sie inzwischen doch voll von weniger positiven Vorurteilen in bezug auf diesen Sänger.
("Einer ist berühmt, weil er berühmt ist"(David Boorstin 1961). Umgekehrt bedeutet das auch, dass einer, der nicht (mehr) berühmt ist, nicht leicht (wieder) berühmt wird. Überall beten Menschen nur nach, was andere sagen. Oder schreiben nur nach, was andere schreiben. Auf diese Weise werden kleine Welten geschaffen, wozu einer gehört oder nicht gehört. Die Musikwelt ist auch so eine kleine Welt.)
Und wenn man sich trotzdem vertiefen muss - zum Beispiel weil in der Umwelt das Interesse am Sänger plötzlich wieder zunimmt - und man ist Musikrezensent oder sachverständiger Musikliebhaber, dann muss man über diesen hohen Haufen Vorurteile klettern und man kann damit rechnen, dass man damit seine Schwierigkeiten hat. Dann lesen wir Zugeständnisse wie: "Enttäuscht mich doch nicht", "Klingt eigentlich nicht so übel" oder "Singt besser als erwartet", woraus noch zu schliessen ist, dass wir mit Leuten zu tun haben, die sich bereit erklären, ihre Meinung zu ändern. Aber es gibt deren auch, die unerreichbar bleiben, weil sie eben unerreichbar sind.
Und heute? Wir leben in einem neuen Jahrhundert. Rudolf Schock ist schon mehr als zwanzig Jahre nicht mehr unter uns. Aber aus den 50er (und 40er) Jahren sind nahezu alle wichtigen Aufnahmen mit Rudolf Schock neu veröffentlicht worden. Ausserdem haben kleinere CD-Produzenten die Hand auf viele Rundfunkaufnahmen von Opern, Operetten , einzelnen Arien und Liedern legen können. Und ich wage es vorauszusagen, dass Rudolf Schock viele Musikliebhaber beim Zuhören staunen lässt.
Ich habe es schon früher geschrieben: heutzutage gibt es auf dem Markt mehr interessante CDs mit Rudolf Schock als je zuvor: Wagner neben Offenbach, Beethoven neben Cornelius, Richard Strauss neben Johann Strauss, Norbert Schulze und Gerhard Winkler neben Wolfgang Amadeus Mozart. Und die Oper 'Carmen' von Bizet? Ja, auch diese Aufnahme ist auf CD erhältlich. Und unterdessen weiss ich aus dem Munde von Christa Ludwig (Interview in einem Fonoforum von vor einigen Jahren), es habe diese Carmenaufnahme seit ihrer Veröffentlichung im Jahre 1961/1962 bis auf den heutigen Tag im Emi-Katalog gegeben.
Neue Generationen von Musikliebhabern und Musikkritikern in der ganzen Welt melden sich. Sie haben ohne Zweifel Vorurteile, aber die brauchen sich jetzt mal nicht auf Rudolf Schock zu beziehen. Neue Generationen werden dazu befähigt, sich objektiv dem vokalen Erbe des deutschen Tenors Rudolf Schock anzuhören. Andere, die ihn sich kleiner haben machen wollen, bekommen die Gelegenheit, einen Weg zurück zu finden, wie Prof. Buck: "Mein späteres Amt (Theaterwissenschaft) brachte die tiefe Verneigung vor seiner musikalischen Leistung mit sich......"
Krijn de Lege, am 4. September 2007
(Im nächsten Monat: Ein Versuch die Faszination von Rudolf Schock in Worte zu fassen)
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