2CD-RELIEF CR 3001 |
Nach dem äusserst erfolgreichen Tauber/Schockfilm 'Du bist die Welt für mich' (1953/1954) ist Rudolf Schock über Nacht in breiten Schichten der Bevölkerung bis weit über die Grenzen seiner Heimat bekannt und berühmt.
Neben seinen vielen Aktivitäten auf internationalen Opernbühnen, in den Schallplattenstudios und auf der Kinoleinwand präsentiert er sich in den Konzertsälen nachdrücklich auch als Sänger von Liedern von Schubert, Schumann, Brahms, Strauss (Richard) und Wolf. Erst im Laufe des zweiten Teils dieser Konzertabende singt er einige Opernarien und schließlich - "wenn die Kritiker nach Hause sind", wie er 1957 zu einem niederländischen Journalisten sagt - wartet er mit Operettenliedern und Filmerfolgen auf.
Während der Auftritte bestürmen Jugendliche das Podium (Wir reden von der Glanzzeit des Rock & Rolls mit Bill Haley und Elvis Presley!), und nach dem Konzert stellt er sich noch lange seinen Fans zur Verfügung, wobei er Autogramme gibt. Meine kleine Schwester und ich stellten uns am 1. November 1957 in der 'Rivièrahalle' des Rotterdamer Tiergartens auch - nervös und demütig - in einer langen Reihe auf.
Hierunter folgt die Übersetzung eines Zeitungsartikels, der im niederländischen Text abgedruckt steht:
1.11.1957
"Jugendliche benahmen sich schlecht
VORTREFFLICHER GESANG VON RUDOLF SCHOCK
Wir würden grossen Wert darauflegen, wenn der deutsche Tenor Rudolf Schock noch einmal nach Rotterdam zurückkehren würde. Denn, so hoffen wir, vielleicht bekommen wir dann die Gelegenheit, ihn ruhig anzuhören und zu beurteilen. Gesternabend war das eigentlich nicht möglich. Horden von Jugendlichen stürmten während des Recitals dann und wann wie aufgescheuchte,wilde Tiere zum Podium, um Briefchen darauf zu schmeissen. Andere baten um Autogrammme, gerade in dem Augenblick, da Schock im Begriff war, zu singen.
Der liebe Mann konnte nicht einmal nach dem Konzert dem Publikum danken für die Ovation, die Ihm dargebracht wurde. Aufseher und Feuerwehrleute mussten, um Schlimmeres zu verhüten, ihm dabei helfen, das Podium zu verlassen. Dass eine solche an Hysterie grenzende Begeisterung der Konzentration eines Künstlers nicht förderlich ist, brauchen wir hier nicht zu erörtern. Vielleicht konnte die Unordnung zum Teil auch der Programmgestaltung vorgeworfen werden. Ein begnadeter Sänger wie Rudolf Schock braucht ja wahrhaftig keine vokalen Kraftakte, um zu beeindrucken. Seine Filmerfolge wie 'Du bist die Welt für mich' sind hübsche Liedchen und er singt sie vortrefflich, das ist eine Tatsache, aber irgendein kunstsinniges Niveau erreichen sie doch wirklich nicht.
Rudolf Schock hatte aber vorher gezeigt, eine goldene Stimme zu besitzen. Er sang u.a. Arien aus Tosca und aus L'Africaine. In Rotterdam wird nur selten ein Sänger auf der Bühne gestanden haben, der das só machte. Hier stand ein lyrischer Tenor mit einem prächtigen Volumen, einer nahezu vollendeten Atemtechnik, einer kraftvollen, klaren Stimme, die wegen ihrer völlig ausreichenden Biegsamkeit zu wunderlich schönen Nuancen fähig war".
Im Laufe der fünfziger Jahre tritt an die Stelle der anfangs "faszinierenden Leichtigkeit in der oberen Lage" (Thomas Voigt) allmählich ein baritonaler gefärbtes, aber noch wärmer und glühender klingendes Timbre, das man in all jenen prachtvollen Electrola (heute EMI/Warner)-Aufnahmen aus dieser Zeit bewundern kann.
Sommer 1959 kehrt Schock in Bayreuth zurück. Immerhin nicht mehr als Chorsänger, sondern als Walther von Stolzing in Wagners "Meistersinger von Nürnberg".
Rudolf Schock ist in dieser Phase seiner musikalischen Laufbahn schon ungefähr 25 Jahre im Besitz einer der schönsten Stimmen aus dem vorigen Jahrhundert und daneben auch noch mit einem überrumpelnden Gesangsstil und einer charismatischen Persönlichkeit gesegnet.
Immer mehr "Verehrer", unter denen dank seiner Filme sehr viel junge Menschen, kommen durch sein vielseitig-künstlerisches Können zum ersten Mal mit Mozart, Schubert, Schumann, Wagner, Puccini, Beethoven, Verdi, Liebermann, Richard (und Johann) Strauss in Berührung.
In Amsterdam und Rotterdam singt Schock in der Richard Strauss-Oper "Ariadne auf Naxos" die Rolle des Bacchus (Hollandfestival 1958). Auch dann stehen nach Aufführungsende eine Menge Jungen und Mädchen am Artistenausgang. Sie übersehen den namhaften italienischen Dirigenten Alberto Erede und stürzen sich fast buchstäblich auf ihren Sänger, sobald dieser erscheint.
Hier und da lassen sich auch andere, kritische Auffassungen hören. Das ist logisch, denn es gibt immer Leute, die eine gewisse Stimmfarbe weniger oder gar nicht mögen, aber eine andere Stimme gerade wohl. Schocks Tenorstimme unterscheidet sich völlig von anderen Stimmen wie z. B. der Stimme Peter Schreiers. Schreier singt technisch perfekt und u.a. in den Schubert-Liedern tiefschürfend. Aber für mich (und ich wiederhole: für jemand anders kann es ganz verschieden sein) bleibt er ein schön singender Außenseiter, ein vokaler Beobachter. Schock identifiziert sich auf eine selbstverständliche, naturgegebene Weise mit allem, was er singt. In der "Schönen Müllerin" von Schubert IST er der verliebte, junge Mann und kein die Umgebung detailliert in sich aufnehmender, spazierender Herr auf dem Pfade einen Bach entlang.
Überdies wirkt Schocks Stimmfarbe betont 'männlicher' und Schreiers Stimmfarbe 'höher' und 'heller', 'dünner' und 'geschlechtsloser'.
Hören wir uns Schreier und Schock in Opern von Mozart an, treten diese Unterschiede in Perzeption deutlich an die Oberfläche. Mancher Musikliebhaber schwört dann bei Schreier als dem idealen Mozartsänger. Für ihn (oder sie) ist Schock zu 'agressiv', zu wenig poliert.
Belmonte in 'Die Entführung aus dem Serail' von Mozart - 1953 |
Andere dagegen zeigen sich eben angenehm überrascht, wenn sie Schock (endlich!) in Mozart hören, denn bis vor kurzem konnte man kaum Mozart-CDs mit Schock finden.
Seine Stimme ist objektiv schön und er singt mit "ungekünstelter Schlichtheit" und "unverdorbener Naivität". Ein amerikanischer Kritiker: "Er singt, wie Mozart es gemeint hätte", was keine nicht sonderbare Bemerkung ist, wenn man Mozarts Charakter und Lebensstil in Betracht zieht.
Geschmacksunterschiede gibt es nun einmal und die kann man nie wegreden oder -schreiben. Man müsste das auch nicht wollen.
Daneben gibt es Rezensenten, die Bedenken dagegen haben, daß Schock "den Filmhelden herauskehrt" (Riemens 1959). Und gegen die Tatsache, daß er Operette und andere "gefühlsselige Liedchen" singt. "Er singt sie vortrefflich
.....aber irgendein kunstsinniges Niveau erreichen sie doch wirklich nicht"
(siehe obenstehenden Zeitungstext).
Im Laufe der Dezennien haben viele schon in irgendeiner Weise auf diesen Tadel aus dem Elfenbeinturm reagiert. Rudolf Schock hat sich selber auch dazu geäußert. Er war sich dessen bewusst, dass er gerade durch seine Filme und ausgedehnte Repertoirewahl für sehr, sehr Viele die Türen der Konzertsäle und Opernbühnen öffnete. Viele (unter denen ich) lernten durch Rudolf Schock Opern und Kunstliedern zu lauschen. Er leistete einen ganz wesentlichen Beitrag zur musikalischen Entfaltung zahlreicher Leute und anschliessend zu ihrem Lebensglück.
Weiter protestierten gegen die Puristen diejenigen, die Schocks darstellerische Vielseitigkeit genossen. Er "servierte" (Kesting) die verschiedenartigsten Musikgattungen gleichermaßen respektvoll und schön: Schubert und 'Schön ist die Welt', Mozart und 'Mütterlein', Puccini und 'La Paloma', Verdi und 'Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde'.
Eigentlich fügte er sich in die jahrenlange Tradition anderer großer Sänger wie Caruso, Tauber und Gigli ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er der erste weit und breit populäre "classical crossover singer". Andere Sänger und Sängerinnen folgten: Pavarotti, Domingo, Carreras, Rothenberger, te Kanawa, Von Otter, Terfel, Alagna und Wunderlich.
Seit den späteren sechziger Jahren entstand die unangemessene Gewohnheit, den nach gut 30 Jahren noch immer aktiven Rudolf Schock immer wieder mit dem tragisch ums Leben gekommenen Fritz Wunderlich zu vergleichen. Erst in den letzten Jahren - unter dem Einfluss von Schocks zahlreichen Wiederausgaben und 'neuen' Rundfunkaufnahmen aus der Periode bis 1960 - zeigt man in breiteren Musikkreisen wieder den Mut, mit großem Respekt über Schocks einzigartige künstlerische Qualitäten zu reden und zu schreiben...
Krijn de Lege, 12 Juni 2007/19.3.2014
(Fortsetzung folgt)
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