27.06.11

RUDOLF SCHOCK SINGT FRIEDRICH VON FLOTOW



Hannover 1945: Rudolf Schock als Lyonel in Martha
(Foto RELIEF CR 3001)


Rudolf Schock singt Friedrich von Flotow
(MIT DREI VIDEOS !)

Rudolf Schock in einem Brief vom 19. November 1946:
"...Bis Ende August blieb ich dann dort auf dem Lande, half bei der Ernte, fällte Bäume, aß gut und erholte mich, so dass ich eigentlich gar keine Lust mehr hatte, dort wegzugehen. Als ich dann ein paar Tage in Hannover war, traf ich zufällig den Intendanten des dortigen Opernhauses, den ich kannte und der mich dann sofort als lyrischen Tenor verpflichtete...."

Rudolf Schock, der Stalingrad und Ardennenoffensive überlebte, war Sommer 1945 - in einer ländlichen Umgebung und mit Frau und Kindern wieder vereint, ein glücklicher Mensch. Aber ich glaube nicht, dass er in diesem Moment, wie hier und da wohl zu lesen ist, das Singen seriös aufgeben wollte. In seiner Biographie (Seite 211) lässt der Sänger 1985 aufzeichnen, er habe jenen Sommer die Landarbeit an der frischen Luft "sehr bewusst" genossen, aber zugleich beim Herrn Rieschel Gesangsübungen gemacht. Dieser pensionierte Lehrer aus Schwarzfeld hatte noch ein Schubert-Album und begeleitete Schock beim Liedersingen auf dem Klavier. Aus einer zufälligen Begegnung in Hannover mit einem alten Bekannten ging danach alles übrige hervor: Reiner Minten (1901-1958), Heldentenor und als Intendant des hannoverischen Opernhauses dringend um einen lyrischen Tenor verlegen, bot Schock die Gelegenheit, gegen 550 Reichsmark Monatsgage ("wovon man sich gerade ein Pfund Kaffee kaufen konnte") wieder einem Operntheater-Ensemble beizutreten.

Am 28. Juli 1945 debütiert der dann beinahe 30-jährige Sänger in Hannover als Don José in 'Carmen'. August 1945 übernimmt er die Rolle von B.F. Pinkerton in Puccini's 'Madame Butterfly' und am 23. Oktober 1945 singt er den Dorfjungen Lyonel in der Premiere von 'Martha' von Friedrich von Flotow.

Friederich von Flotow und Rudolf Schock 
Schock ist anderthalb Jahre später aufs neue in 'Martha' zu hören, aber dann an der Städtischen Oper Berlin, und am 23. Juli 1947 legt er für Electrola/EMI aus 'Martha' die berühmte Arie 'Ach so fromm, ach, so traut' auf der Schallplatte fest. Im Jahre 1953 macht er eine auffallend heftige Rundfunkaufnahme der 'Martha'-Arie, die mehr als ein halbes Jahrhundert später vom Relief-Label wiederentdeckt und 2005 auf CD neu veröffentlicht wurde. Im 2. Ernst Marischka-Film mit Rudolf Schock 'König der Manege' (1954) singt der Sänger wiederum die Lyonel-Arie aus 'Martha' und, inmitten prominenter Wiener Opernsolisten, den emotionellen Schlussteil des 3. Finales (Dirigent Rudolf Moralt). Mit der Sopranistin Anneliese Rothenberger und dem Dirigenten Wilhelm Schüchter nimmt Schock 1955, wieder für Electrola (EMI), die dreiteilige, grosse Szene mit Lady Harriet Durham/Martha aufIm Jahre 1963 erscheint auf Eurodisc/Sony wieder 'Ach so fromm...' und 1965 ein grosser 'Martha'-Querschnitt mit - neben Schock als Lyonel - Erika Köth in der Titelrolle und Wilhelm Schüchter als Dirigent.

Friedrich von Flotow schrieb ungefähr 25 Theaterwerke, wovon nur 'Martha' und gewissermassen 'Alessandro Stradella' Repertoirestücke wurden. Was die letzte Oper betrifft, hat dabei vor allem der Erfolg der Tenorhymne aus dem 3. Akt 'Wie freundlich strahlt der Tag - Jungfrau Maria' eine Rolle gespielt. Rudolf Schock sang auch diese Hymne auf Schallplatte: 1952 für Electrola (EMI) und 1963 für Eurodisc/Sony. Ausserdem singt er diese Arie partiell in einem seiner andren Filme: 'Die Stimme der Sehnsucht' aus dem Jahre 1956. Auch diese Szene kann man jetzt auf YouTube sehen.

Friedrich Adolf Ferdinand, Freiherr von Flotow (1812-1883)
 
Friedrich von Flotow wird auf dem Landgut Teutendorf in Mecklenburg geboren. Er ist noch nur ein fünfzehnjähriger Junge, als er, um Kompositionslehre zu studieren, nach Paris abreist. Er bleibt da bis 1848. Um 1840 gilt er in Europa als wichtiger Opernkomponist, dessen Komponierstil sich perfekt der Werke französischer Komponisten wie Daniël Auber, Charles Gounod und Giacomo Meyerbeer anschliesst. Daneben hört man bei Von Flotow Echos des "kleinen Mozart" Albert Lortzing und der Italiener Gioacchino Rossini und Gaetano Donizetti. Im Jahre 1844 veröffentlicht Von Flotow eine erste deutschsprachige Oper 'Alessandro Stradella' und 1847 in gleicher Sprache 'Martha'. Beide Opern sind ausserordentlich erfolgreich. Die Premieren finden nicht in Paris, sondern bzw. in Hamburg und Wien statt. 'Martha' wächst sich zu einem internationalen Zugstück aus: das Werk wird in ganz Europa und in Amerika gespielt, nachdem man es in viele Sprachen übersetzt hat: natürlich ins Französische, aber u.a. auch ins Englische (die Oper spielt in England!), Ungarische, Polnische, Russische, Schwedische. Die Italiener hängen an ihrer 'eigenen' Version von 'MARTA'(ohne h), und es ist diese Version, die sich die amerikanischen Operntheater aneignen mit der entsprechenden Konsequenz, dass die Lyonels von Enrico Caruso und Benjamino Gigli auf der Platte nicht 'Ach so fromm, ach, so traut' singen, sondern 'M'appari tutt'amor'. Der niederländische Opernspezialist Leo Riemens fand sogar, die Oper klinge auf italienisch schöner ('Elseviers Groot Operaboek'- 1959). Der deutsche Opernspezialist Friedrich Herzfeld schrieb dagegen, 'Martha' sei ein "deutsches Singspiel" und keine Oper von Bellini ('Schallplattenführer für Opernfreunde' - Ullstein 1962).

Im Revolutionsjahr 1848 verlässt Von Flotow Paris und pendelt zwischen Berlin, London, Wien und Hamburg. Im Zeitabschnitt 1863 - 1868 lebt er wieder in Paris, wo er sich auch mit der Operette ('opéra-bouffe') beschäftigt. Dann lässt er sich endgültig in Wien nieder und hält sich dann und wann in Italien auf. Im Jahre 1883 stirbt Friedrich von Flotow in Darmstadt (Deutschland).


Friedrich von Flotow und Jacques Offenbach

Von Flotow begegnet im Laufe der dreissiger Jahre des 19. Jhts. in Paris einem jungen, schüchternen Cellisten und Musikstudenten, der aus Köln kommt, von der Hand in den Mund lebt, eigentlich Jakob Offenbach heisst, sich in Paris aber 'Jacques' nennen lässt. Sie freunden sich an und beschliessen, zusammen zu arbeiten: Von Flotow nimmt Offenbach während seiner Konzertreisen mit, und Offenbach assistiert Von Flotow beim Machen von Musikarrangements. Daneben musizieren sie, wie z.B. Chopin, Meyerbeer, Rossini und Liszt,"in den grossen Salons der wohlhabenden Bürgerschaft" (siehe: 'RS singt Carl Bohm', den Text unter der Überschrift 'Salonkompositionen'). Von Flotow erweist sich als geschickter Pianist und Offenbach als kompetenter Cellist. Bernard Grun ('Kulturgeschichte der Operette'- Langen Müller Verlag 1961) fragt sich - m. E. mit Recht - ob das Duo in ihren Salonkonzerten schon Melodien ausprobierte, die einige Jahre später "ihren Weg in die Partituren von 'Alessandro Stradella' und 'Martha' fanden".
Grun betont auch, dass sie ein merkwürdiges Zweigespann waren: hinter dem Klavier der aristokratische, überkultivierte, vom Leben verwöhnte Mann von Welt Friedrich Adolf Ferdinand, Freiherr von Flotow unt hinter dem Cello der unbeholfene, "geborene Schlemihl Jakob Offenbach aus dem Kölner Getto"(Foto). Zwischen den Künstlern gab es aber auch deutliche Berührungspunkte: Sie waren beide deutsche Immigranten, kreative Musikanten und wahrscheinlich keine musikalischen Snobs. Für letzteres spricht, dass Friedrich von Flotow Jahre später, wenn der inzwischen nicht mehr schüchterne Jacques Offenbach als 'Opéra-bouffe'-Komponist Triumphe feiert ('Orphée aux Enfers', 'Barbe-Bleue', 'La Vie parisienne' usw.) fleissig genauso mit der (französischen) Operette experimentiert (1861: 'Madame Bonjour').

Die Musik von Friedrich von Flotow       
Noch einmal zitiere ich Leo Riemens: "Nach einer Anzahl deutscher Werke schrieb Von Flotow 1870 seine beste, französische Oper 'L'Ombre (De Schim)' und darauf noch einige, italienische Opern.....Das Auffallende ist, dass all seine Werke in ihrer Zeit Erfolg hatten. Der Melodienreichtum von 'Martha' und 'Stradella' lässt erwarten, dass bei ihm noch viel Wertvolles verborgen liegt". Riemens schrieb diese Worte vor etwa fünfzig Jahren. Leider ist seine Erwartung (noch?) nicht bewahrheitet. Aber vielversprechend ist sie wohl.  

Eine ganz andere Auffassung hat der Komponist Richard Strauss (1864-1949), der auch schon den virtuosen Operettenkomponisten Leo Fall (siehe: 'RS singt Fall') so unfreundlich behandelt hatte. Nach Strauss "sollte 'Martha' (wahrscheinlich wegen der Dominanz des geliehenen, irischen Volksliedes 'The last Rose of Summer') möglichst bald von der Opernbühne verbannt werden".  

'Knaurs Grosser Opernführer' (herausgegeben von Thomas Steiert für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt) lobt Von Flotow im Jahre 1999. Dieses renommierte Opern-Nachschlagewerk betrachtet den europäischen Komponisten Friedrich von Flotow als ein "graziöses, leichtfüssiges Kind" der französischen 'Opéra comique'.
Ich trage noch nach, dass Von Flotow mit seinen durchkomponierten, gesungenen Dialogen eigensinnig auf die italienische 'Opera buffa' zurückgriff (siehe 'RS singt Adam'). Das erklärt wohl die seltsame Anziehungskraft, die die Oper 'Martha' auf die Italiener ausübt. Weiterhin könnte noch bemerkt werden, die Opernhandlung von 'Martha' und 'Stradella' mute eher 'romantisch' als 'komisch' an. Aber sie ist gewiss leicht und lebendig, voller prachtvollen Melodien, die - um es mal mit den Worten des 'Martha'-Librettisten Friedrich Wilhelm Riese zu sagen - "recht fürs Herz" komponiert worden sind. 

Alessandro Stradella


Genannter Friedrich Wilhelm Riese (1805-1879), der in Hamburg unter dem Pseudonym 'W. Friedrich' Theatertexte schrieb, verfügte über ein sicheres Gefühl für gut spielbare und wirksame Bühnentexte. Man könnte ihn ganz gut mit dem berühmten Pariser Kollegen Eugène Scribe vergleichen (siehe 'RS singt Daniël Auber'). Für Friedrich von Flotow machte Riese die Textbücher von 'Alessandro Stradella' (1844) und 'Martha' (1847), und es fällt auf, dass gerade diese Flotow-Opern Riesenerfolge waren und weiter gespielt wurden.

Riese benutzte als Grundlage für die 'romantische Oper Alessandro Stradella' eine Komödie mit Gesang-Einlagen von De Forges und Dupont, die 1837 in Paris aufgeführt wurde und die Von Flotow schon mit einigen extra Musiknummern versehen hatte. Hauptperson dieser musicalartigen Komödie war der historische Opern-, Oratorien- und Kantatenkomponist Alessandro Stradella (1645 - 1682).







Stradella lebte und arbeitete in Venedig. Er trat nebenbei auch als Sänger auf, gab Musikunterricht end war am laufenden Bande verliebt. In einer Nacht flieht er mit einer Schülerin, Verlobter eines venezianischen Adligen nach Rom. Der Adlige lässt es damit nicht bewenden und nimmt einen Mörder (oder mehr Mörder) in 'Dienst'. Stradella überlebt einen ersten Mordanschlag in Rom und einen zweiten in Turin (1677). Ein paar Jahre danach geht es doch noch schief: Stradella stürzt sich in eine neue Liebesaffäre und bezaht das 1682 mit dem Leben.

'Pietá, Signore'
Oft wird die bekannte Kirchenarie 'Pietà, Signore (Erbarmen, Herr)' Alessandro Stradella zugeschrieben. Aber ebenso oft wird dies bestritten. Einer der folgenden drei Namen aus dem 19. Jht. sollte viel eher für diese Ehre in Betracht kommen: François-Joseph Fétis, Louis Niedermeyer oder Gioacchino Rossini. Rudolf Schock nahm die Arie 1966 auf, zugleich mit Arien von Tenaglia, Händel, Gluck, Mozart und Beethoven, aber auf der Schallplattenhülle (Eurodisc-LP 75357 KR) steht wiederum Alessandro Stradella als Komponist von 'Pietà, Signore' erwähnt.

Die Opernhandlung   
bleibt den geschichtlichen Fakten ganz nahe. Nur der heitere Ausgang der Oper (der reiche Adlige verzichtet zugunsten Stradellas auf Leonore) weicht hundertprozentig ab.
Stradella ist in der Oper vor allem Sänger, der Leonore in der Karnevalsnacht entführt, um sie in aller Stille zu heiraten. Der Adlige, der Leonores Vormund ist, aber darauf hofft, einst zu ihrem Geliebten zu promovieren, beauftragt auf Umwegen zwei Mörder, Stradella zu eliminieren. Das Schurkenpaar (klassisches 'komisches Duo' aus der 'Opera Buffa' das sich als glücklicher Griff herausstellt) nimmt sich vor, Stradella beim Hochzeitsfest zu ermorden. Aber dieser singt da ein Lied, so herrlich, dass das auf den ersten Blick rohe Gesindel, zu Tränen gerührt, einfach vergisst, wofür es gekommen war. Kurz vorm Ende des 3. und letzten Aktes versuchen die Banditen es - jetzt direkt im Auftrag des Adligen - ein zweites Mal: sie schleichen unbemerkt an Stradella heran, während dieser einen Lobgesang fürs Marienfest am nächsten Tage einstudiert. Stradella singt in der Einleitung zum Lobgesang von seiner Angst. er werde nicht die Kraft aufbringen können, das Lied richtig zu Gehör zu bringen. In dem Augenblick, da er nahe am musikalischen und religiösen Höhepunkt, dem Gebet zur Heiligen Jungfrau, ist, ziehen die Halunken ihre Messer. Aber dann überfällt ihnen wie ein Blitz am heiteren Himmel eine tiefe Reue. Die prachtvoll gesungenen Worte des Gebetes treffen dem Pack ins Herz, und die Sünder werfen sich vor die Füsse des Künstlers. Und weil der Vormund inzwischen auch erkannt hat, er müsse unbedingt das Leben bessern, gibt er dem Stradella die Leonore ab, dem Manne, mit dem sie rechtmässig verheiratet ist. Es wird deutlich sein, dass das tenorale Gebet zu Maria ein zweiter glücklicher Griff war und noch immer ist.

















Rudolf Schock singt 'Wie freundlich strahlt der Tag - Jungfrau Maria' 

- Berlin, 14.11.1952: Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Dir. Wilhelm Schüchter ELECTROLA-Edition 2000 (LPs E2008/09) und MEMBRAN-DOCUMENTS (10CD-Box LC12281 - Ordernr. 232541)
- Berlin, 10.01.1963: Berliner Synphoniker unter Dir. Kurt Gaebel EURODISC/SONY (CD GD 69314)

- 1956 im Film 'DIE STIMME DER SEHNSUCHT' (Regie: Thomas Engel): Fragment aus dem Lobgesang 'Jungfrau Maria'. Dirigent und Orchester unbekannt (siehe: das Fragment auf YouTube)

Electrola/EMI hat ihre 'Martha'-Arie mit Schock oft herausgebracht: auf LP und CD. Aber die 'Stradella'-Hymne erschien nur auf einer besonderen LP-Edition aus den Sechzigern, wovon damals nur 2000 Exemplare gepresst wurden. Daneben auf einer noch älteren 17cm-EP (45UpM), worauf Rudolf Schock auch in seiner Glanzrolle als Evangelist zu hören ist ('Selig sind die Verfolgung leiden' aus 'Der Evangelimann' von Wilhelm Kienzl).






















Es war denn auch überraschend, dass in die ungläublich preisgünstige Rudolf Schock-10CD-Box (Neuausgabe 2010) von Membran/Documents nun mal nicht die Arie aus 'Martha', sondern die Hymne aus 'Alessandro Stradella' aufgenommen wurde.






















Die Eurodisc/Sony-CD mit Arien und Szenen aus deutschen Opern, worunter die Hymne, braucht dringlich eine Wiederveröffentlichung. Sie ist die erste dreier CDs, die 1991, fünf Jahre nach dem Tode Rudolf Schocks, unter dem Sammeltitel 'Eine unvergessene Stimme' herausgebracht wurden. Die zwei andern CDs mit Operettenfragmenten und Volksliedern sind wohl im Handel, aber reichen nicht für ein vollständiges Bild des Opern- und Liedersängers Rudolf Schock.






















Schocks Darstellungen von Stradellas Hymne machen grossen Eindruck: 1952 bald (leicht) heldisch - dem Helden Flotows aus dem Jahre 1844 angemessen - und bald mit 'mezza voce' "freundlich und mild" in Einklang mit den Worten, womit Maria charakterisiert wird. Es ist kein Wunder, dass die Messerstecher von diesem Aufwand an Schönheit umgekehrt mitten ins eigene Herz getroffen werden. Im Jahre 1963 stellt Schock das Lied mehr als Konzertarie dar: langsamer und getragener, 'italienischer' auch, mit längeren, hervorragend auf einem einzigen Atem gesungenen, vokalen Linien.

Im Film 'Die Stimme der Sehnsucht' (1956) singt der gefeierte Sänger Stefan Berger (Rudolf Schock) das eigentliche 'Gebet zu Maria' in einem Opernkonzert. Er fängt die Arie sofort schon mit einigen Verszeilen in einem faszinierenden 'mezza voce' an. Es wirkt denn auch ein bisschen peinlich, wenn die Szene mitten im Lied plötzlich abbricht, und die Kamera die kleine Eva (Christine Kaufmann) in ihrem Krankenhausbett sucht, während Schocks Stimme noch einige Augenblicke hohl im Hintergrund weiterklingt. Auf YouTube wird dieses problematische Verfahren dadurch gelöst, dass man statt Christine Kaufmann ein zweites Lied aus dem Film daran festklebt. Über den Komponisten dieses Liedes (Gerhard Winkler) und dem Film werde ich in der Zukunft noch sprechen.

Martha oder Der Markt zu Richmond
Inspirationsquelle für 'Martha' von Riese/Von Flotow war ein Ballett des Choreografen Jules de Saint-Georges namens: 'Lady Harriette ou La Servante de Greenwich' aus dem Jahre 1844. Das Textbuch der Oper hat einen historischen Rahmen, der aber von geringerem Interesse als in 'Stradella' ist. Die Ereignisse spielen sich 1710 in der Regierungsperiode von Queen Ann Stuart von Grossbrittannien ab (Ann folgte 1702 ihrem Schwager William auf den Thron. Niederländer kennen William als ihren 'Stadhouder Willem III'). Die weibliche Hauptperson der Oper ist Lady Harriet Durham, Ehrenfräulein (Hofdame) der englischen Königin Ann(a).

Der Opernplot
Lady Harriet und ihre Freundin Nancy langweilen sich schrecklich. Und das Schlimmste ist, dass Andere - übrigens unbeabsichtigt - Opfer ihrer Gemütslage werden. Die Damen denken sich nämlich ein Abenteuer aus: sie verkleiden sich als 'einfache Mädchen aus dem Volke', nennen sich unkompliziert 'Martha' und 'Julia' und begeben sich mit ihrem - murrenden - Vetter Tristan, alias 'Bob', gemütlich kichernd auf den Jahrmarkt zu ländlichem Richmond (Die Italiener lassen ihre 'Marta' auf einen Markt irgendwo in der ebenfalls ländlichen Lombardei fahren). Auf dem Markt bieten sie sich - genauso wie die 'Mädchen aus dem Volke' - als Mägde, die "nähen, mähen usw. können" an. Die Tatsache, dass sie rechtlich ein ganzes Jahr daran gebunden sind, bekommen sie irgendwie nicht mit oder schert sie einfach nicht.
Rudolf Schock als Lyonel
Auf dem Marktplatz befinden sich auch der etwas derbe und nicht unbemittelte Pächter Plumkett und dessen jüngerer Pflegebruder Lyonel. Wie sich der Plot dann entwickelt, kann man sich denken: Plumkett fliegt auf  'Julia', und Lyonel verliebt sich sofort krankhaft in 'Martha'. Sie nehmen die Mädchen in Dienst, und dann erst wird es den Damen bewusst, es sei den Burschen Ernst. Harriet und Nancy wollen den von ihnen nicht seriös genommenen Kontrakt für ungültig erklären lassen, aber es ist zu spät: der Richter zu Richmond entscheidet: Martha und Julia werden den Herren Plumkett und Lyonel ein Jahr lang dienen.

Schon bald wird deutlich, dass 'Martha' und 'Julia' gar nichts können (nicht nähen, nicht mähen,usw.). Aber die Burschen sind blind vor Liebe. Im grossen Duett Lady/Lyonel aus dem 2. Akt will Lyonel es gern übergehen, dass Martha zwei linke Hände hat. Sie kann ja doch schön singen? Worauf Lady Harriet auf seine Bitte oder seinen Befehl ("Sing ein Liedchen!") mit blutendem Herzen das 'Volksliedchen' 'Letzte Rose' (das irische Volkslied 'The last Rose of Summer') singt.
Darauf nehmen die Damen schnell und ängstlich die Beine unter die Arme. Ein agressiver und eifersüchtiger Vetter Tristan ( der so seine eigenen Wunschträume in bezug auf Harriet hegt) steht ihnen bei.

Im 3. Akt singt Lyonel die berühmte Arie 'Ach so fromm, ach, so traut'. Im übergrossen Teil davon wälzt er sich in tiefem Trübsinn. Er wollte doch die Magd zu seinem Stand erheben! Er hätte ihr, und sie hätte ihm soviel Glück schenken können! Aber letzten Endes lässt er sich gehen: "Martha! Martha! Du entschwandest, All mein Glück nahmst du mit dir; Gib mir wieder, was du fandest, Oder teile es mit mir, Ja, TEILE ES MIT MIR!" Dann steht auf einmal unglücklicherweise Lady Harriet-in-Jagdkostüm vor ihm. Sie machen einander Vorwürfe. Wenn die Lady Lyonel grob beleidigt:"Frecher Knecht, Ich kenn' Euch nicht!", will Lyonel - jetzt fast völlig ausser sich - ihr gebieten, in seine Wohnung zurückzugehen. Harriet, in Panik geraten, ruft um Hilfe. Die erhitzten Jagdteilnehmer, von Tristan angeführt, erscheinen auf der Bildfläche. Sie machen den verwirrten Lyonel lächerlich und drohen ihm mit einer Tracht Prügel. Harriet versucht, ihn aber dadurch zu 'retten', dass sie sagt, er müsse verhaftet werden, weil "Wahnsinn...aus ihm spricht". Um Lyonels Selbstbeherrschung ist es dann ganz und gar getan, und auf den bleischweren Tönen von 'Letzte Rose' klingen Selbstbemitleidung und Zynismus: "Mag der Himmel Euch vergeben, was Ihr an mir Armen tut, Euer Spiel zerstört mein Leben...Todesschmerz hat mich getroffen. Dank Euch, Dank, die es vollbracht...!

Im 4. Akt bricht die Sonne wieder durch: es stellt sich heraus, dass Plumketts Pflegebruder Lyonel der Sohn eines verbannten Grafen ist und zugegeben: Graf Lyonel will zuerst nichts mehr von Lady Harriet wissen, aber mit Hilfe einer ohne Zweifel kostspieligen Rekonstruktion des Marktes zu Richmond überzeugt die Lady ihn schliesslich. Und sein grosser Bruder Plumkett kann sich in aller Ruhe der einsam zurückgebliebenen Nancy weihen ( Nancy: "Ja, was nun? Was nun tun? - Ach, dann sitz' ich ganz alleine").


The Last Rose of Summer 






















Friedrich von Flotow und Friedrich Wilhelm Riese benutzen grosszügig im 2., 3. und auch noch am Ende des letzten Aktes 'The last Rose of Summer'. Man könnte die Melodie in der Oper, ziemlich übertrieben, sogar als 'Leitmotiv' auffassen ('Knaurs Opernführer' sagt vorsichtig, das Lied mute "leitmotivisch" an). Aber ich denke nicht, dass dieser seit Richard Wagner etablierte Begriff für eine Oper wie 'Martha' zutrifft. Riese und Von Flotow fanden 'the irish song' wahrscheinlich nur ein schönes Lied, das im Theater eine gute Wirkung auslösen würde. Ludwig von Beethoven gebrauchte übrigens die Melodie für 'Thema und 3 Variationen für Flöte und Klavier'(Op. 105), und Felix Mendelssohn-Bartholdy für die 'Fantasia in E-mineur'(Op. 15).
Der Text von 'The last Rose' ist vom irischen Dichter Thomas Moore (1779-1852), Zeitgenosse von u.a. Byron und Shelley und die Noten von entweder George Alexander Osborne, oder Sir John Stevenson.

Aufnahmen mit Rudolf Schock als Lyonel in der Oper 'Martha'

- Berlin, 24.7.1947 'Ach so fromm', Orchester der Staatsoper Berlin, Dir. Artur Rother EMI-3CD: 'Portrait Rudolf Schock 1947-1962' CZS 7 67183 2 und PROFIL-EDITION Günter Hänssler CD: 'Rudolf Schock - Die schönsten Opernarien 1947-1953' PH04033 (Sound-restauration: THS Studio Holger Siedler)

- München, 19.3.1953: 'Ach so fromm', Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Dir. Wolfgang Sawallisch RELIEF-2CD: CR 3001 'Rudolf Schock, Germany's great lyric Tenor')

- Berlin, 12.6.1955: Duett 'Nancy..Julia! So bleib doch! - Letzte Rose - Martha! Herr! Sie lacht zu meinem Leiden' mit Anneliese Rothenberger als Lady Harriet, Berliner Symphoniker, Dir. Wilhelm Schüchter EMI-Classics 2CD: 0946 3 60698 2 1 'Anneliese Rothenberger, für meine Freunde' 

- Berlin, 15.1.1963: 'Ach so fromm' und Duett 'Wie das schnattert, wie das plappert', mit Walter Kreppel als Plumkett, Berliner Symphoniker, Dir. Heinz Wallberg und/oder Wilhelm Schüchter EURODISC/SONY: Die Arie auf CD GD69314 und das Duett vielleicht je auf EP ausgebracht.

- Berlin, 15.1.1963 und 28.4.1965: Grosser Querschnitt aus 'Martha', mit Erika Köth (Lady Harriet), Elisabeth Steiner (Nancy), Manfred Röhrl (Lord Tristan), Rudolf Schock (Lyonel), Walter Kreppel (Plumkett), Ernst Krukowski (Richter zu Richmond). Chor der Deutschen Oper Berlin unter Walter Hagen-Groll, Berliner Symphoniker, Dirigenten: Wilhelm Schüchter und Heinz Wallberg EURODISC/SONY CD 88697 30647 2

- 1954 im Film 'KÖNIG der MANEGE' (Regie: Ernst Marischka) 'Ach so fromm' und Finale 3. Akt ab 'Mag der Himmel Euch vergeben, was Ihr an mir Armen tut', mit Solisten und Chor der Wiener Staatsoper und dem Wiener Symphoniker, Dir. Rudolf Moralt

Rudolf Schock beiläufig in seiner Biographie: "...die Oper 'Martha' liege ihm sehr". Das ist schwach ausgedrückt: Lyonels Charakter war ihm, rein vokal auf jeden Fall etwa bis zur Mitte der sechziger Jahre, wie auf den Leib geschrieben. Die Rolle hatte alles, was Rudolf Schocks Gesang so attraktiv machte: Lyrik, Emotion, 'die italienische Träne' im geeigneten Moment und eine Heroik, wonach Schock in jeder Rolle, selbst in Mozartpartien, auf der Suche war. Trotz der in erster Instanz lyrisch veranlagten Tenorstimme wagte er sich - vor allem hinter dem Studiomikrofon - auch gern an Rollen heran, die für Heldentenöre gedacht waren (Othello, Radames, Canio und Paul aus 'Die tote Stadt').
Aus diesem Verhalten ist die musikhistorisch interessante Tatsache hervorgegangen, dass die Gesamtaufnahme von 'Lohengrin' mit Schock unter Schüchter (Electrola/EMI 1953) zum ersten Male auf Tonträger einen lyrischen tenor als Lohengrin dokumentiert! Wagners Schwanenritter Lohengrin könne also auch von einem lyrischen Tenor mit ausreichend 'heldischen' Qualitäten gesungen werden! Von diesem Augenblick an war das kein Tabu mehr. Bemerkenswert ist, dass Rudolf Schock auf besonders nicht-europäischen Sites, wegen u.a. der 'Lohengrin'-Aufnahme, oft als 'Heldentenor' qualifiziert wird. Er war das natürlich nicht: die Stimme hatte eben nicht das umfangreiche Volumen, das dazu gehört.

Die drei Studio-Aufnahmen von Schocks Arie 'Ach so fromm' empfehle ich Ihnen aus vollem Herzen:

1947: Rudolf Schock und Artur Rother






















Die aus dem Jahre 1947 unter Artur Rother (1885-1972) legt den jungen Schock in einigermassen unterdrückter Akustik fest, die irgendwie an Aufnahmen aus der Vorkriegszeit erinnert. Hübsche Nebenwirkung ist, man spüre auf einmal den Mut, festzustellen, dass Schocks Darstellung denen von legendären, italienischen Tenören wie Caruso und Gigli nicht nachsteht. Die restaurierte Reproduktion auf CD von PROFIL (Edition Günter Hänssler) ist tontechnisch besser als die von EMI. Schocks vokale und interpretatorische Nuancierung überwältigt. Der (originelle) deutsche Text steht seinem 'italienischen' Einfallswinkel gar nicht im Wege.

1953: Rudolf Schock und Wolfgang Sawallisch















Die Aufnahme des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahre 1953 unter Wolfgang Sawallisch (1923-2013) ist, wie schon gesagt, von RELIEF zum Glück an der Vergangenheit entrissen worden. Sie ist rapider und dadurch heftiger als die Rother-Aufnahme. Schock ist ergreifend in seiner Leidenschaft. Auch diese Aufnahme wurde ausgezeichnet restauriert.

1963: Rudolf Schock neben Erika Köth

In der Stereo-Aufnahme aus dem Jahre 1963 weiss Rudolf Schock unter Heinz Wallberg (1923-2004) oder Wilhelm Schüchter (1911-1974) vokal noch immer mit der Arie zu prunken. Gedämpfte Verzweiflung ist zwar an die Stelle jugendlicher Unbesonnenheit getreten.

1955: Duett Lady Harriet - Lyonel (2. Akt)




















Das fast 10 Minuten dauernde Duett mit der Sopranistin Anneliese Rothenberger (1924 - 2010) unter Wilhelm Schüchter aus dem Jahre 1955 hat als Mittelpunkt das Volkslied 'Letzte Rose', von Anneliese Rothenberger bezaubernd gesungen. Rudolf Schocks sympathischer Lyonel, der "nicht streng und herrisch sein will" ist zwar beklagenswert in der Liebe, aber bewundernswert im expressiven Gesang.
Die Aufnahme wird wohl in den Fünfzigern auf EP (45UpM) im Handel gewesen sein. Danach mussten wir ein halbes Jahrhundert auf Wiederveröffentlichung warten. Erst 2006 tauchte das Duett auf einer Doppel-CD mit Anneliese Rothenberger auf.
Ende 2022 habe ich für YouTube ein Video mit dem Duett zusammengestellt:



Wilhelm Schüchter





















1963: Duett Plumkett - Lyonel

"Wie das schnattert, wie das plappert", die teils weniger frauenfreundliche Szene, womit sich Plumkett und Lyonel im 1. Akt präsentieren, wurde am 15. Januar 1963 aufgenommen, am gleichen Tag, worauf Rudolf Schock die 3. Studioaufnahme von 'Ach so fromm' machte. Das Duett mit Walter Kreppel  sollte von Wilhelm Schüchter, Schocks Arie von Heinz Wallberg dirigiert worden sein. Mit ein bisschen Disziplin wäre so ein Dirigentenwechsel realisierbar. Aber warum eine solche Ineffizienz? Ich halte es deshalb für möglich, dass entweder Wallberg, oder Schüchter BEIDE 'Martha'-Fragmente dirigierte. Wie auch immer, der Bass Walter Kreppel (1923 - 2003) und Rudolf Schock singen und spielen die Szene con brio!

Walter Kreppel (Plumkett)














1965: Grosser 'Martha'-Querschnitt 
Seit 2008 ist dieser Querschnitt auf CD erhältlich. Und es muss Ihnen auffallen, dass ich als Dirigent(en) wiederum Schüchter und Wallberg nenne. Ich gehe nämlich davon aus, Eurodisc habe die beiden Aufnahmen aus dem Jahre 1963 in den neuen Querschnitt eingefügt, und damit das Dirigentenproblem kontinuiert. Alle anderen sieben Tracks der CD hat Wilhelm Schüchter 1965  höchstwahrscheinlich wohl  musikalisch geleitet.
Rudolf Schock (Lyonel) und Erika Köth (Lady Harriet)





















Erika Köth (1927-1989) ruft erfolgreich das temperamentvolle Mädchen hervor, das hinter/unter der vornehmen Fassade der Lady steckt. Anneliese Rothenberger bleibt 1955 nachdrücklicher die aristokratische Dame. Vielleicht wirkt Erika Köth in 'Letzte Rose' darum noch eindringlicher. Die Schlusszeilen bekommen von Köth und Schock, der sich stimmlich anschliesst, eine leuchtende Aureole.

Elisabeth Steiner (Nancy)


















Die Mezzosopranistin Elisabeth Steiner (geb. 1935), ist, dank der vollen, würzigen Carmen-Stimme, eine sinnliche Nancy.
Walter Kreppel, ein grosser Sänger, der lange der Wiener Staatsoper angehörte und zu Unrecht zur hauptsächlich österreichischen Berühmtheit wurde, singt spielerisch und mit imposanter Baßstimme den Pächter Plumkett.
Der Lyonel liegt dem dann fast 50-jährigen Rudolf Schock noch immer sehr, obschon er das Finale des 3. Aktes ("Mag der Himmel Euch vergeben usw.") im Jahre 1965 nahe am Rande seiner vokalen Möglichkeiten singt. Er schafft es aber wohl: Wilhelm Schüchter gestaltet die tragische Szene beherrscht und künstlerisch vereinfachend, womit er Schocks Lyonel einen passenden Rahmen für dessen Fassungslosigkeit und Schmerz bietet.

Wie hätte Rudolf Schock 15 Jahre vor der Eurodisc-Aufnahme dieses selbe Finale gesungen? Mehr als einen Hauch einer Antwort auf diese Frage kann man finden und erleben in einer Szene im Film 'König der Manege' aus dem Jahre 1954.

Die 'Martha'-Szenen aus 'König der Manege':

Der fachlich ausgezeichnete Österreichische Filmregisseur Ernst Marischka (1893-1963) drehte mit Rudolf Schock drei Filme: 1953 den Richard Tauber-Film 'Du bist die Welt für mich', 1954 den Zirkusfilm 'König der Manege' und 1958 den Franz Schubert-Film 'Das Dreimäderlhaus' (siehe auch: 'RS singt Berté').

'König der Manege' spielt sich im Zirkusmilieu ab, worin sich ein Trapezkünstler (Schock) zum nicht uneigennützigen Beschützer einer Tänzerin (Germaine Damar) aufwirft, die von ihrem Tanzpartner misshandelt wird. Der Film ist heiterer als diese Worte suggerieren und besonders die verschiedenartigen, erfindungsreich montierten Zirkusszenen verfehlen ihre Wirkung nicht. Wenn ich daran bin, den Komponisten und Dirigenten Anton Profes zu besprechen, komme ich auf den Film zurück. Rudolf Schock, der sowohl im jubelnden Gesang als in der Zirkuskuppel keine  Höhenangst zeigt, hört man in Melodien von Anton Profes, Gerhard Winkler und Gioacchino Rossini. Daneben singt er die Verdi-Arie 'Celeste Aida' (mit einer forte gesungenen b  des Heldentenors am Schluss) und zwei Fragmente aus Von Flotows 'Martha'.
Aus dem Herzogfilm 'König der Manege': Archiv Frau Gisela Schock
































Die Lyonel-Arie 'Ach so fromm' wird im Film vom Trapezkünstler Fritz gesungen, der mit seiner schönen Stimme einer Opernkarriere zustrebt. Seine sachlichen Begleiter führen eine Audition durch und lassen aus Amerika, dem Land 'der unbeschränkten Möglichkeiten', einige korpulente, Kaugummi kauende Talentscouts mit Al Capone-artigen Hüten aufmarschieren. Fritz/Schock singt die Arie mit grossem Flair und endet demonstrativ mit einem extra lange angehaltenen "mir!". Sofort nach dem Vorsingen poltern die Amerikaner schweigend hinaus, aber hinter der Bühne zeigen sie ihre Achtung durch die kurze Entscheidung: "Wir wollen ihn singen lassen". Im folgenden Filmshot wird in einem ausverkauften, romantisch ausgestatteten Operntheater den Schlussteil des 3. Aktes von 'Martha' ausgeführt: "Mag der Himmel Euch vergeben":

Folgendes Video lässt Schock in diesem Schlussteil des 3. Aktes hören. Davor singt Schock 'Ach so fromm' unter dem Dirigenten Wolgang Sawallisch:


Jetzt ist Schock ein andrer Lyonel als zehn Jahre später: 1954 ist er der furiose Mittelpunkt eines wie angenagelt stehendes Tableaus von angeschlagenen Jagdteilnehmern. Lyonels vokaler Ausbruch ist ein bitteres Klagelied über die ihm angetane Erniedrigung. Beim Anblick und Anhören von so etwas überläuft es einen kalt. Aber daraus darf man nicht folgern, die Schüchter/Schock-Interpretation aus dem Jahre 1965 sei falsch. Sie ist bewusst anders: Lyonel ist  schon über die Wut hinaus. Ihm bleibt nichts übrig als dumpfer Schmerz.

Krijn de Lege, 27.6.2011/16.9.2022/17.1.2023
    

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