(LINK auf Brahms: 'In stiller Nacht')
Er fing mit BRAHMS an. Danach kamen Schumann, Wolf und (Richard) Strauß. Nach der Pause Schubert, dann zwei Opernarien und erst nach einer Stunde und drei Viertelstunden erfüllte er Publikumswünsche.
So ging das während des Konzerts, das ich als Fünfzehnjähriger in Rotterdam erlebte, und so machte Schock es seit den Fünfzigern nahezu immer. Die Kunstlieder gehörten, wie innerhalb der Tradition der deutschen klassischen Gesangskunst üblich, zu seinem festen Repertoire.
Die meisten Säle, worin er sang (z.B. im Wiener Musikvereinssaal), waren für die Intimität des Kunstliedes eigentlich zu groß. Daraus machte er sich aber nichts. Ein großes Publikum wünschte, Rudolf Schock nun einmal sehnlichst singen zu hören, und das war nur fertigzubringen, wenn er in großen Sälen und Hallen aufträte. Die Begleitung wurde dabei nicht von einem Orchester übernommen. Ein einziger Pianist am Flügel reichte aus.
|
Adolf Stauch und Rudolf Schock 1959
|
In dieser Weise führte Rudolf Schock Tausende und noch einmal Tausende von Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung zum ersten Male ans Kunstlied heran. Darunter viele junge Leute. Sie wolten Schock live sehen und hören, weil sie ihn von seinen Filmen her kannten. Häufig hatten sie sich Schallplatten mit 'Schlagern' aus diesen Filmen gekauft, aber jetzt bekamen sie auch Opernarien serviert. Überdies bewirtete Rudolf Schock sie - als wäre das eine Selbstverständlichkeit - reichlich mit Liedern von Brahms, Schumann, Schubert und Richard Strauß.
Eine effektivere, musikalische Erziehung & 'Emanzipierung des Volkes' könnte man sich kaum vorstellen.
Rudolf Schock hat in seinem Leben neben allen Opern- und Operettenaktivitäten mehr als 300 'Liederabende' in ca. 130 Städten versorgt. Gut 200 Kunstlieder wurden auf der Schallplatte festgehalten, wovon verschiedene Lieder zweimal. Letzteres geschah u.a. mit Robert Schumanns Liederzyklus 'Dichterliebe'. Von Franz Schubert nahm Schock 1958 'Die schöne Müllerin' auf - mit dem namhaften Pianisten Gerald Moore als Begleiter! - und später in seiner Laufbahn (1970) die 'Winterreise'. Der Schwerpunkt der Schock-Aufnahmen liegt bei Schubert (etwa 80 Lieder), Schumann, R. Strauß, Wolf, Loewe und Brahms, aber wir begegnen auch Mozart, Cornelius, Dvorák, Tschaikowsky, Grieg u.a.
Schocks Brahms-Aufnahme aus dem Jahre 1975 von 20 'Deutschen Volksliedern' verbindet sein Kunstlied-Repertoire auf logische Weise mit ungefähr 200 Volksliedern, die er gleichfalls festlegte.
'Volkslied' oder 'Kunstlied'?
Nach Aussage von Rudolf Schock habe sich das Kunstlied aus dem Volkslied entwickelt. Man könnte das so sagen.
Früher bemerkte ich schon, mit einem zu strikten Unterschied zwischen Musikgattungen fahren wir bald im Schlamm fest.
Denn eine klare Grenze zwischen Oper und Operette läßt sich wirklich nicht ziehen. Eine scharfe Grenze zwischen 'opéra comique' und 'opéra seria' gibt es nicht. Eine genaue Grenze zwischen "seriöse" oder "schwere" Musik (komische Bezeichnungen eigentlich) - und jetzt wage ich mich ins kulturelle Minenfeld - kann man nicht formulieren, geschweige einen glaubhaften "Unterschied zwischen 'niedriger' und 'höherer' Kunst". Besser komme ich mit der Bezeichnung "klassisch" zurecht, jedenfalls wenn ich 'klassisch' als 'von bleibendem Wert' auffasse. Aus diesem Grunde ist Jazzmusik 'klassisch' geworden, aber ich finde wohl, man dürfe das auch von manchem Evergreen aus dem Unterhaltungsgenre sagen.
Zurück zum 'Volks- oder Kunstlied'.
Aufs neue ist es unmöglich, eine scharfe Grenze zu bestimmen. Der oft genannte Unterschied, das Volkslied sei anonym, und das Kunstlied Ergebnis der Zusammenarbeit eines Komponisten mit einem Dichter trifft nicht zu. Musik und Text der alten Volksweisen sind genauso gut von Menschen gemacht worden. Allein wissen wir meistens nicht, von wem die ursprünglichen Melodien und Texte stammen. Text und Melodie wurden ja größtenteils mündlich weitergeleitet oder - besser - weitergesungen und erfuhren dadurch viele Veränderungen. Wohl passierte es, daß Volkslieder hinterher Kunstliedstatus erhielten (z.B. bei Brahms und seinen 'Deutschen Volksliedern') und umgekehrt, daß Kunstlieder von Franz Schubert und dem Dichter Wilhelm Müller im Chor-Volksliederrepertoire landeten ('Am Brunnen vor dem Tore', 'Das Wandern ist des Müllers Lust' u.v.a.). Manchmal kam es sogar vor, daß sie in Operetten auftauchten.
Betrachten wir es von der inhaltlichen Seite, ist das Problem wiederum nicht befriedigend zu lösen. Die Themen der beiden Gattungen unterscheiden sich kaum.
Das Volkslied wurzelt in allgemein-menschlichen Erfahrungen: 'du' und 'ich' oder Liebesglück und -leid, der Schönheit der Natur, dem Wechsel der Jahreszeiten, der altvertrauten Heimat im Gegensatz zur nebelhaften Ferne, Kinderfreud und - leid, Gott und der Welt.
Das Kunstlied wurzelt genauso darin.
Die Namen des Komponisten und Textdichters sind aber bekannt.
Weiter sind Musik & Text mancher Kunstlieder verwickelter und manchmal unzugänglicher. Vor allem letzteres könnte dazu geführt haben, daß das Kunstlied in der Ausführungspraxis zum 'Eigentum' einer relativ erlesenen Gesellschaft geworden sei.
Schauspielerin Barbara Sukowa erzählt in der Musikzeitschrift Fono Forum (April 2009) über eine CD mit Schumann- und Schubertliedern, die sie zusammen mit dem Schönberg-Ensemble und dem Komponisten/Dirigenten Reindert de Leeuw "als ein 'normaler' Mensch" aufgenommen habe. Sie redet von ihrer anfänglichen "Angst vor den Liedern, die sie ein bißchen verlieren müßte, weil man sie mit berühmten Stimmen verbände... Dürfte eine wie sie solche Lieder wohl singen?' Letzten Endes waren Sukowa und De Leeuw zur Schlussfolgerung gekommen, 'diese Lieder sollten interpretiert werden, wie es früher bei Schubert zuhause geschah...am Klavier für Freunde...'.
Rudolf Schock hat sich zum Glück nie gefragt, ob er Kunstlieder singen dürfte. Aber es gab Jahrzehnte lang eine Anzahl Kunstlied-Liebhaber, die sich das wohl fragten.
Lied-Sänger Rudolf Schock in der Musikkritik
|
Schock und Stauch: Oostende 1957 |
Friedrich Herzfeld, Musikrezensent von Fono Forum bespricht 1960 Schocks Aufnahme von Schuberts 'Schöne Müllerin' und die erste zweier 'Liederabend'-LPs, beide auf dem Electrola - das spätere EMI - Label. Herzfeld beginnt den Artikel mit der kritischen Feststellung: "Rudolf Schock wird bisweilen nicht ganz ernst genommen". Er sucht die Ursache in "unserer verwalteten Welt", in der wir nur noch "Spezialisten" gebrauchen können. "Daß einer mehr kann als nur das eine, halten wir für unmöglich und wünschen Vielseitigkeit auch gar nicht".
Herzfeld verurteilt "diese Voreingenommenheit" als "ebenso ungerecht wie ungedeihlich"..."Rudolf Schock ist als Liedersänger durchaus ernst zu nehmen, wie die vorliegenden Platten beweisen". Schocks Darstellung wird - geht Herzfeld weiter - wesentlich von Optimismus gekennzeichnet: "...die Nacht is bei ihm nie ganz schwarz ... die Tragik nie ohne stillen Trost". Dabei verfügt er über eine "ausgezeichnete Atemtechnik und kann daher weite Bögen spannen" (was den Zuhörern die Einsicht in den Liedinhalt erleichert-KdL). Rudolf Schock "bietet alles was Musikfreunde an unseren klassischen Meistern bewundern". Seine Stimme hat "in der Mittellage genau das rechte Vibrato, das den vollen und runden Klang gibt ... Es bleibt kein Wunsch offen. Rudolf Schock wird mit den neuen Aufnahmen neue Freunde finden".
Friedrich Herzfeld nennt noch einen Grund für die unausgeglichene Rezeption von Schock als Liedersänger: "Er singt sich zu einschmeichelnd in Herz und Sinne seiner Anhänger, noch mehr: seiner Anhängerinnen. Die Erinnerung an seine Schnulzen im Film will nicht weichen". Darin steckt m.E. ein wahrer Kern. Wie gut Schock auch sang, und wie einmalig die Leistungen auch waren: seine Filme und die ziemlich rasch als "hysterisch" qualifizierten Szenen in den Sälen standen manchen Kritikern eine ehrliche Beurteilung von Schocks Qualitäten im Wege. Aber wer nicht hören will, kann eben nicht fühlen. Schocks Erfolg und Beliebtheit entsprachen nicht der Attitüde, die manche von einem seriösen Sänger verlangten. Sein Publikum benahm sich außerdem nicht nach den - ungeschriebenen - Normen, die für ein klassisches Konzert passend waren. Wenn ein solches Konzert auch noch das Kunstlied betraf, dann beging so ein Sänger nichts weniger als ein Sakrileg.
Selbst in anderen wohl positiven Zeitungskritiken aus den 50er Jahren kamen dann und wann doch noch Spuren von Bedenken gegen den Phänomen Schock hoch. Aber erleichtert ließen sich diese Rezensenten ganz schnell von Schocks Leistungen und den Beifallsstürmen der Mitbesucher hinreißen:
Stuttgarter Nachrichten - 2.11.1955: "... keine Konzessionen an den guten Geschmack..künstlerisch untadeliges Programm mit u.a. Händel, Schubert, Brahms und Richard Strauß...tritt nicht als verwöhnter Star vor uns hin...Überlegende Beherrschung der Register...Kopfstimme und mezza voce in jeder dynamischen Schattierung eminent. Durch und durch musikalisch, macht die für das romantisch-intime Lied ungünstige Akustik des Saales vergessen".
Österreichische Neue Tageszeitung - 13.12.1956: "mehr als ein charmanter Kavalier...bevor er noch einen Ton gesungen hat, fliegen ihm alle Herzen zu...Trotz seiner Jugend (!) schon ein Liedersänger von Rang, der alles, was er singt, durchdenkt und durch Empfindung des Herzens adelt. Mit dem Medium seines wohllautenden lyrischen Tenors gelingt es ihm, einen ganzen Abend lang die Menschen zu entzücken, zu beglücken, aus der Angt und Hast unserer Tage in lichte Sphären emporzuheben...".
Hamburger Anzeiger - 19.10.1957: "Der so beliebte und gefeierte Tenor verzichtete auf billigen Erfolg und wahrte eine in jeder Hinsicht vorbildliche Haltung. In schönem Zusammenwirken mit seinem feinfühligen Klavierpartner Adolf Stauch bot er ein vorwiegend ernstes und wehmütiges Programm mit Gesängen von Pergolesi, Gluck, Tenaglia, Liedern von Mozart, Schubert und Brahms....Auch im ausgedehnten Zugabenteil ließ er sich vom Lied nicht weglocken. Die Erkenntnis, daß man auch das große Publikum nicht zu unterschätzen braucht, bestätigte sich...".
Österreichische Neue Tageszeitung - 18.5.1961: "Rudolf Schock: das Geheimnis der Faszination ist zeitlos...Sänger, die den Großen Musikvereinssaal füllen können, sind selten, und er vermag es die Größe des für Liedlyrik zu großen Prachtraumes zudem noch aufzuheben: Jeder (und vor allem jede) glaubt, er sänge nur für ihn (und vor allem nur für sie). Einen wesentlichen Anteil an der Wirkung hat natürlich diese wunderbare, lyrisch timbrierte Tenorstimme. Wenn Schock Haydns 'Sympathie' ,'Treue' oder Mozarts Konzertarie 'Misero, o sogno, o son desto' singt, strahlt ihr milder Glanz in den Raum, stellt man fest, daß es nichts gibt, was technisch nicht aufs vollkommene bewältigt würde...durch die Schlichtheit ist der Ausdruck überwältigend..nicht nur Hochintelligenz der Gestaltung und feinstes Gefühl, sondern über alles: Herz! Das Gebäude am Karlsplatz erzitterte förmlich unter den Begeisterungsstürmen für den Sänger und seinen großartigen Begleiter Robert Wallenborn".
Passauer Neue Presse - 20.4.1967: "Sein Programm von apartem Geschmack enthält meist wenig bekannte Gesänge, deren Melodik er trotz edler Zurückhaltung impulsiv, mit großem Kunstverstand auszuschöpfen weiß...Rudolf Schocks Liederabend war ein Triumph höchster Kultur und feinster Stabilität...".
|
Robert Wallenborn und Rudolf Schock": 1961 |
Schocks vokale Möglichkeiten, die sich im Laufe der SECHZIGER Jahre allmählich änderten, wurden durch sein weiteres Wachstum als darstellenden Künstler reichlich kompensiert. In Friedrich Herzfelds kleiner Schock-Biographie aus dem Jahre 1962 (siehe auch: 'RS, Tenor & Darsteller: 3. Folge') schreibt der Verfasser, man spüre bei Schocks Darstellung der Lieder,"deren Bitterkeit drückt, daß er sein Leid letzten Endes überwinden wird. Die 'Müllerin-Lieder' sind jedoch keine 'Winterreise', die Schock in kluger Selbsteinsicht auch nicht singt".
Acht Jahre später aber - im Jahre 1970 - nimmt Schock Schuberts 'Winterreise' auf, und singt er den bitteren Zyklus im Konzertsaal. Von einem - vielleicht vermeinten - Optimismus ist in Schocks Darstellung dann gar nicht mehr die Rede. Opern- und Gesang-Experte Leo Riemens begrüßt 1965 begeistert Schocks neue Schubert- und Schumann-Aufnahmen auf dem damals jungen Plattenlabel Eurodisc. Riemens findet, Rudolf Schocks Liedinterpretation habe größere Tiefe bekommen. Er male sich die Lieder jetzt in verschiedeneren Farben aus. Auch Riemens hebt Schocks Atembeherrschung hervor, die dem begreiflichen Überbringen eines Textinhalts auf den Zuhörer so dienlich ist. Schock singt bestimmte Phrasen "mit einem einzigen langen Atem", wie das bis zu diesem Moment - laut Riemens - auf der Schallplatte selten oder nie getan war.
Schocks Lied-Aufnahmen von LP auf CD
Lange Zeit wurden auf CD nur einige Kunstlieder, von Rudolf Schock gesungen, angeboten.
Wichtigste Ursache war das Imago-Problem, das den Sänger zeitlebens verfolgt hat: das nachweislich falsche Imago des "nur Operettensängers".
Bei solchem Imago liegt 'Oper' schon problematisch, geschweige denn Lieder von Schubert, Schumann usw. Produzenten versprechen sich keinen Gewinn davon.
Es ist für Rudolf Schocks Reputation denn auch außerordentlich günstig gewesen, daß ab 2000 die Rundfunkarchive nutzbar gemacht werden konnten.
Dadurch lernten Musikfreunde in der ganzen Welt noch einmal den großen, vielseitigen Tenor kennen, der Rudolf Schock in den 40er, 50er und 60er Jahren des vorigen Jhts. war.
Kleine CD-Gesellschaften produzierten auf einmal für ein noch bestehendes, sowie neues Publikum erfolgreich interessante und qualitativ gute Rundfunkaufnahmen mit Rudolf Schock. Viel Oper und Operette - Gesamtaufnahmen und einzelne Fragmente -, aber auch Werke wie Händels 'Messias' und Beethovens 'Missa Solemnis'.
EMI (jetzt WARNER) brachte fast ihr ganzes Schockrepertoire - ohne die Kunstlieder (!) - auf den CD-Markt, und SONY/Eurodisc versuchte/versucht ebenfalls einiges abzukriegen, wobei sie sich ziemlich ungeschickt auf das Schock-Revival einstellte/einstellt.
Danach waren es wieder kleine CD-Produzenten, die an Schocks Kunstlieder-Repertoire auf EMI erinnerten!
Im Jahre 2008 widmete CD-Label 'Membran' aus ihrer 10CD-Box (Documents Order Nr: PC 232541 321) eine CD größtenteils dem 'Lied-Sänger Rudolf Schock'
(für mehr Information siehe: 'RS auf CD'). Die technische Qualität der Kopien ist wechselnd, aber im ganzen genommen befriedigend.