'Faust et Marguerite' von Charles Gounod:
Ich muss vorsichtig sein!
Über den Zauberer FAUST und seine Dominanz in Goethes gleichnamigem Lebenswerk gibt es so viel zu erzählen, dass ich mich bis zum Äußersten beherrschen muss, diesen Weg nicht einzuschlagen. Er würde mich zu weit von Charles Gounod und Rudolf Schock bringen.
Also beschränke ich mich auf eine kurze Linie vom echten Dr. Faust über Johann Wolfgang von Goethe zu 'Faust et Marguerite' von Charles Gounod:
Johann Georg Faust (etwa 1480- 1541) war ein Wunderdoktor, der sich mit schwarzer Kunst und der Wahrsagerei von Sternen befasste.
Im mittelalterlichen Volksbuch über Doktor Faust wird er erschreckend dargestellt als ein Gelehrter, der zu viel wissen will, Gottes Existenz leugnet und deshalb Seele und Erlösung verliert.
Anschließend tritt er "höchstpersönlich" in einem Volkstheaterstück gleichen Inhalts auf.
Dieses Stück bearbeitet man zum pädagogischen Puppenspiel "für unsere Kleinen".
Johann Wolfgang von Goethes Theaterstück 'Faust'
Es ist "jene interessante Puppenspiel-Fabel", die Goethe als Kind sieht und die immer wieder "in ihm klingt und in allen Tasten durch seinen Kopf summt".
1775 - Goethe ist dann 26 Jahre alt - erscheint seine allererste Theaterfassung: der sogenannte "Urfaust" mit der "Gretchen-Geschichte", die auf ein echtes Ereignis zurückgeht.
1806 - Goethe ist 57 - veröffentlicht Goethe die Tragödie "Faust, Teil 1" in einer philosophisch vielschichtigeren Form und schließlich 1831 - Goethe sollte ein Jahr später sterben - bricht "Faust, Teil 2" mit allen dramatischen Konventionen.
Goethes Seelendrama ("Erster Teil" 1806))
zeigt - ganz global gesprochen - den beschränkten Menschen auf der unermüdlichen Suche nach dem Geheimnis der Welt und des Alls, das sie umgibt:
Heinrich Faust stellt verzweifelt fest, er wisse am Ende eines lebenslangen Studiums und Untersuchens noch genausoviel wie damals, als er in seiner Jugend damit anfing.
Wenn er den Giftbecher an die Lippen setzt, erscheint ihm der Teufel (Mephisto). Mephisto spiegelt Faust weltliche Schätze wie Reichtum, Macht und Sinngenuß vor: das große Glück auf Erden, das der nur aufs Höhere gerichtete Gelehrte niemals habe genießen können. Aber Mephisto gönnt ihm eine Hoffnungsrunde: Faust könne jenes vielumfassende Glück als junger Mann nachholen,und das einzige, was Mephisto als Gegenleistung von ihm verlange, sei - nicht eher als nach dem Erleben all dieses Schönen - die Seele.
Faust läßt sich beim Anblick des bildschönen Gretchens sofort zum Tausch überreden: er sehnt sich auf der Stelle nach ihr. Mephisto verkuppelt Faust und das fromme Gretchen. Faust verführt sie und wird anschließend vom Gefährten Mephisto für eine aufreibende Fahrt durch eine komplexe Welt ins Schlepptau genommen.
Ein schwangeres Gretchen bleibt erschüttert zurück. Sie fühlt sich unendlich sündig, wird wahnsinnig und ermordet ihr neugeborenes Kind. In Erwartung der Vollstreckung des Todesurteils bringt man die Kindermörderin hinter Gitter. Sie stirbt, betend in der Zelle, in dem Augenblick, da Faust zurückkehrt und sie befreien will. Faust - ganz und gar in Sünde und Schuld verstrickt - scheint nun endgültig der Macht des Teufels überliefert zu sein.
Im "Zweiten Teil"1831 reist Faust mit Mephisto durch eine höhere, aber nicht weniger komplexe Welt. Dort findet Faust die Ruhe nützlicher Arbeit für die Gesellschaft. Mephisto verliert die Macht über ihn. Faust setzt seine Zuversicht auf Gott. Wenn er stirbt, steht nichts seine Himmelfahrt mehr im Wege.
Wenn er den Giftbecher an die Lippen setzt, erscheint ihm der Teufel (Mephisto). Mephisto spiegelt Faust weltliche Schätze wie Reichtum, Macht und Sinngenuß vor: das große Glück auf Erden, das der nur aufs Höhere gerichtete Gelehrte niemals habe genießen können. Aber Mephisto gönnt ihm eine Hoffnungsrunde: Faust könne jenes vielumfassende Glück als junger Mann nachholen,und das einzige, was Mephisto als Gegenleistung von ihm verlange, sei - nicht eher als nach dem Erleben all dieses Schönen - die Seele.
Faust läßt sich beim Anblick des bildschönen Gretchens sofort zum Tausch überreden: er sehnt sich auf der Stelle nach ihr. Mephisto verkuppelt Faust und das fromme Gretchen. Faust verführt sie und wird anschließend vom Gefährten Mephisto für eine aufreibende Fahrt durch eine komplexe Welt ins Schlepptau genommen.
Ein schwangeres Gretchen bleibt erschüttert zurück. Sie fühlt sich unendlich sündig, wird wahnsinnig und ermordet ihr neugeborenes Kind. In Erwartung der Vollstreckung des Todesurteils bringt man die Kindermörderin hinter Gitter. Sie stirbt, betend in der Zelle, in dem Augenblick, da Faust zurückkehrt und sie befreien will. Faust - ganz und gar in Sünde und Schuld verstrickt - scheint nun endgültig der Macht des Teufels überliefert zu sein.
Im "Zweiten Teil"1831 reist Faust mit Mephisto durch eine höhere, aber nicht weniger komplexe Welt. Dort findet Faust die Ruhe nützlicher Arbeit für die Gesellschaft. Mephisto verliert die Macht über ihn. Faust setzt seine Zuversicht auf Gott. Wenn er stirbt, steht nichts seine Himmelfahrt mehr im Wege.
Charles Gounods Oper 'Faust'
Die Textbücher beinahe aller Gounod-Opern - 'Faust et Marguerite' einbegriffen - wurden von Jules Paul Barbier (1825-1901) und Michel Carré (1819-1872) verfaßt.
Barbier und Carré zeigten sich in 'ihrem' 19. Jahrhundert vertraut mit dem Komprimieren, Simplifizieren und neu Inszenieren der Werke literarischer Größen. Bei Gounod geschah das einem Goethe ('Faust et Marguerite') und Shakespeare ('Roméo et Juliette'), beim Komponisten Ambroise Thomas wiederum Goethe und Shakespeare (bzw. in 'Mignon' und 'Hamlet') und bei Jacques Offenbach war der Dichter/Komponist E.T.A. Hoffmann das 'Opfer' ('Les contes d'Hoffmann (Hoffmanns Erzählungen)'.
Was 'Faust et Marguerite' betrifft, müssen die Auffassungen von Barbier & Carré über was 'romantisch' ist, komfortabel auf die von Gounod angeschlossen haben. Auffassungen einer behaglichen 'Romantik' die zur 2. Hälfte des 19 Jhts. gehörte, aber in mancher Hinsicht dem ähnlich war, was auch heute noch 'romantisch' genannt wird.
Der Komponist muß besonders von der Liebesaffäre zwischen dem verjüngten Faust und dem tief religiösen und keuschen Gretchen beeindruckt gewesen sein: einer Affäre - wie wir Niederländer reimen: "van twee geloven op een kussen met de duivel ertussen (zweier Glauben auf einem Kissen mit dem Teufel dazwischen)". Gounod erfindet hinreißende Melodien dazu: bald lyrisch und intim, bald heftig dramatisch, je nach den Stimmungen der Hauptpersonen und den Lagen, in die sie geraten.
Mit Goethes Tragödie aus dem Jahre 1806 ('Faust 1.') hat Gounods 'romantische' Faust-Oper nur noch einen - übrigens ansprechenden - Teil der äußerlichen Handlung gemein.
'Faust 2.' aus dem Jahre 1831 kommt bei Gounod gar nicht ins Bild.
Faust ist alt und zweifelt am Sinn des Lebens. Mephisto (der Teufel) bietet ihm im Austausch für seine Seele ein Leben voller Reichtum, Glück und Jugend. Faust verliebt sich in das schöne Mädchen Marguerite, die bereits verlobt ist. Faust verwöhnt Marguerite mit Schmuck und schafft es schließlich, sie zum Liebhaben zu bewegen. Das arme Mädchen weiß nicht, was es nach ihrer Untreue tun soll und sucht Trost in der Kirche. Mephisto macht ihr Beten unmöglich. Valentin, Marguerites Bruder, erfährt, dass seine Schwester schwanger ist und fordert Faust zum Duell heraus. Mit Hilfe von Mephisto durchbohrt Faust seinen Gegner, der stirbt und seine Schwester verflucht. Der Wahnsinn trifft Marguerite. Faust ist von nun an an den Teufel gefesselt. Marguerite ist im Gefängnis. Sie hat ihr Kind getötet und wartet auf das Gerüst. Als Faust sie besucht, erkennt sie ihn nicht. Hilflos bittet er seine Geliebte, in die Realität zurückzukehren.
Das dann folgende Opernfinale ist in jeder Hinsicht eindrucksvoll:
Mephisto ruft triumphierend "Gerichtet!".
Aber ein Himmelchor entkräftet sein Urteil mit dem Wort: "Gerettet!!".
Marguerites Seele fährt zum Himmel.
Mephisto ruft triumphierend "Gerichtet!".
Aber ein Himmelchor entkräftet sein Urteil mit dem Wort: "Gerettet!!".
Marguerites Seele fährt zum Himmel.
Unvergessliche 'Faust'-Erfahrung in den Siebzigern:
Während eines kurzen Urlaubs in Paris kamen meine Frau und ich auf die Idee, in die Pariser Oper zu gehen.
Wenn wir vor dem Theater stehen, schlägt das Herz schneller: 'Faust' von Gounod wird aufgeführt!
Nicolai Gedda ist Faust, Mirella Freni Marguerite, Nicolai Ghiauroff Mephisto und Tom Krause Valentin. Charles Mackerras dirigiert.
Die Inszenierung der Aufführung ist ein Vergnügen. Die Stars wecken gemischte Gefühle.
Tom Krause (mir damals noch unbekannt) beeindruckt sofort, Mirella Freni ist eine sensible Marguerite, von Ghiauroffs Mephisto geht kaum Drohung aus, und auch Gedda ist als Faust zu wenig in die Handlung involviert. Seine große Arie im 3. Akt mit dem hohen C klingt zwar gut, aber merkwürdig neutral.
In der Zwischenzeit freue ich mich auf das Finale der Oper:
Auf den Höhepunkt mit dem Engelchor!
Wenn der grosse Moment da ist, erlebe ich aber eine tiefe Enttäuschung, die eiskalte Dusche, den ultimativen Tiefpunkt: Die erlösende Engelschar ertönt nicht vom Himmel, sondern - schäbig und metallisch - von einem Band irgendwo hinter der Bühne.
Anscheinend habe der Chor-Kollektivarbeitsvertrag den Live-Gesang am späten Abend verboten ...
Ausführungspraxis der Oper 'Faust et Marguerite'
Paris 1859
Die Premiere: die Oper unterscheidet sich wesentlich von Goethe's Tragödie. Sie geht nahezu nur über die Liebesbeziehung zwischen Faust und Marguerite.
Die Dialoge werden gesprochen, im Stil der französischen 'Opéra comique' (!).
Die französischen Opernliebhaber sind in erster Instanz nicht gerade begeistert. Sie finden die Oper zu "deutsch". Doch werden die Vorstellungen gut besucht.
Dresden 1861
Deutsche Premiere. In deutscher Übersetzung. Angepasster Titel der Oper: 'Margaret(h)e'!.
Der Name der Oper nimmt zwar Abstand von Goethe, aber respektiert Gounods Originaltitel.
Breslau und Wien 1862
In Wien reagiert die Presse scharf abfällig: sie nennt die Ausführung von 'Margarethe' "musikalisches Landverrat" und eine "Schändung Goethes".
Die Wiener Bürger bejubeln jedoch 'Margarethe' und die Oper erlebt eine ausverkaufte Aufführung nach der andren. Aus dem Festspielhaus wird ein "Faustspielhaus"!
London, New York 1863 und danach
Die gesprochenen Dialoge werden durch gesungene Rezitative ersetzt.
Abgesehen von den deutschsprachigen Ländern wird die Oper in Europa und den VS fortan kurzwg "Faust" genannt. Sie fasziniert jetzt die ganze Welt: 1864, 1865, 1866, usw.: Erstaufführungen in u.a. Petersburg, Sudney, Mexico, Warschau, Kopenhagen, Lissabon, Batavia (heute Jakarta), Moskau, Konstantinopel (heute Istanbul), Kairo.
Paris 1869
In Paris ist 'Faust' - vom weltweiten Ruhm angesteckt - zur allergrössten Opernsensation ausgewachsen. Das Werk hat am 3. März 1869 sogar zum 2. Mal Premiere in der Pariser Oper.
Neu sind ein markanterer Valentin mit robuster, eigener Arie (2. Akt),eine heldenhafte Militärumgebung mit Soldatenchor (4. Akt) und einige glänzende Ballettszenen (Léo Delibes - in diesem Bereich erfahren - komponierte sie möglicherweise).
Von 1875 ab beginnt aber Bizets 'Carmen' den Ruhm von Gounods 'Faust' zu überflügeln. Nach der Jahrhundertwende läuft das Interesse für 'Faust' weiter zurück.
In den Sechzigern des 20. Jhts
ist - nach der Meinung des englischen Kritikers Kenneth Fury ('Opera on Record', Hutchinson & Co 1979) - die 'Faust'-Diskographie der Deutschen "kommunikativer" als die der Franzosen.
Er tadelt zwei EMI-Gesamteinspielungen von EMI aus den Fünfzigern, beide unten dem belgischen Dirigenten André Cluytens.
Berühmtheiten wie Victoria de los Angeles, Nicolai Gedda und Boris Christoff singen in beiden Produktionen die drei Hauptrollen.
Auf den ersten Blick eine vielversprechende Besetzung, aber Fury vermisst: "expressive power". Die Aufnahmen sind "uninspiring", denn "Faust is not great literature ... or subtle music drama".
Das habe - nach Fury - mit Victoria de los Angeles zu tun, aber auch mit Nicolai Gedda, dessen Diktion so "correct" sei. Dazu singt Christoff "langweilig".
1963/2008
Eurodisc/Sony produziert 1963 auf LP und 2008 auf CD (Nr. 88697 30641 2) in deutscher Sprache Höhepunkte aus 'Margarethe' von Gounod.
Dirigent ist Wilhelm Schüchter.
Hilde Güden (1917-1988)
ist das Gegenteil eines überempfindlichen Gretchen. Stimme und Vortrag zeugen von einem starken Geist.
Es gelingt ihr Gesangstexten französischsprachliche Beweglichkeit mitzugeben ('König in Thule'/'Juwelen'-Arie).
Dann und wann verliert sie dabei ein bisschen deutsche Textdeutlichkeit.
Hugh Beresford (1925)
Das Gebet Valentins, Gretchens Bruder, wird von ihm überrumpelnd gesungen.
Der amerikanische Heldenbariton sollte zehn Jahre später in Wien und Bayreuth als Heldentenor imponieren.
Gottlob Frick (1906-1994), der den Ehrennamen: "Schwärzesten aller Bässe" wahr macht, stellt einen leibhaftigen Teufel mit beissendem Spott dar.
Rudolf Schocks Faust ist vor allem expressiv. Ich muss mich wohl wiederholen, wenn ich Schocks sorgfältigen und vollkommen natürlichen Umgang mit dem Text lobe.
Auf Schocks fabulöse Ausführung der Faust-Arie 1951 in einer Rundfunksendung komme ich noch zu schwärmen, aber hier - 1963 - hört man interpretativ die wohllautende Erinnerung daran.
Auf Schocks fabulöse Ausführung der Faust-Arie 1951 in einer Rundfunksendung komme ich noch zu schwärmen, aber hier - 1963 - hört man interpretativ die wohllautende Erinnerung daran.
Was wir jedoch von Schock nicht bekommen, ist ein - echtes - hohes C. Das braucht eine Erläuterung:
Kenneth Fury geht in 'Opera on Record'(siehe hieroben) näher auf die Faustfigur in Gounods Oper ein:
"Die Rolle von Faust ... fordert Ausdrucksfähigheit und deutliche Textübertragung ... (purity, sweetness und breath control for the cavatina and the garden scene duett) ... Die Arie ist furchtbar schwierig. Nicht so sehr wegen der Noten, die - das hohe C ausgenommen (!) - zum Arsenal jedes Tenors gehören sollten, aber wegen der absoluten Bequemlichkeit, womit die Noten - wie Gounod es beabsichtigte - miteinander verbunden und kontrolliert gebildet werden müssen ... Der Tenor, der nicht zur langen Legato-Linie imstande ist, hat wenig Chance, emotionell zu überzeugen ...".
Fury gibt zu, dass - obschon Gounod das C nicht verlangte - heutzutage dieses C nicht mehr ausgewichen werden kann. Warum er das zugibt, lässt er unkommentiert. Denkbar sei, er spiele auf die pingelige Ansprüche des modernen Musikliebhabers und/oder auf die Diktatur von Media und Markt an.
Von Richard Tauber weiss die Musikwelt, er "hätte nicht" das hohe C und B. In z.B. der Faust-Arie beschränkt er sich auf einen kurzen Notensprung in die erwünschte Richtung. Er scheint sich kaum darum gekümmert zu haben: für die restliche Arie blieb ja in seimen hervorragenden Gesang mehr als genug Prachtvolles übrig.
In Rudolf Schocks älteren Kavatine-Aufnahmen kommt das hohe C wohl zur Geltung. In der Biographie vermerkt Schock, wenn er über den jüngsten Bruder Gerd spricht: "Wenn man ihn nachts weckte und ihn sagte: Sing mal das hohe C, konnte er es - buchstäblich aus dem Schlaf heraus" und etwas weiter: "Ganz im Gegenteil zu mir. Ich musste es erst einsingen".
Ich halte es denn auch für logisch, dass der älter werdende und allmählich bartonale timbrierte Rudolf Schock in den Sechzigern das hohe C nicht mehr bringen konnte.
Die Tontechniker der 'Margarethe'-Aufnahme lösten 1963 das Problem durch eine Tontransplantation, die an sich kaum zu hören ist.
Der technische Eingriff wird m.E. aber doch noch hörbar, weil Schock nach dem C die Worte "voll bange Lust" SOFORT - ohne erst Atem zu holen - weitersingt. Mir scheint das körperlich eine Unmöglichkeit.
Aber genauso wie bei Tauber bleibt in Schocks Darstellung für die restliche Arie mehr als genug Prachtvolles übrig!
Reaktionen auf die Eurodisc-Aufnahme:
Klaas A. Postuma (Luister 1965):
"Ich würde ohne zu zögern, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin für die Niederländische Oper Amsterdam übernehmen"
Kenneth Fury (Opera on Record 1979):
" ...certainly more communicative than the excerpt LPs that have come out of France in the sixties".
Er findet Hilde Güden eine "lovely Marguerite".
"Hilde Güdens Stimme erreicht erst im Schlußteil ein markanteres Profil".
Sie singt "mehr aus der Routine der erfahrenen Bühnensängerin ...
"Rudolf Schock hingegen hält durchgehend ein gutes Niveau, das künstlerisch befriedigt".
"Gottlob Frick setzt seinen zwar undämonischen, aber ergiebigen Baß für die Rolle des Mephistopheles ein".
"Hugh Beresford singt mit großer Stimme und die verdiente Ursula Schirrmacher als Siebel ist leider nur in ein paar kleineren Passagen zu hören".
Johann Telbenbacher (Amazon.de: 2012):
Er hört:"eine rührende Margarethe von Hilde Güden, einen dämonischen Mephisto von Frick und einen Rudolf Schock, der ausgezeichnet bei Stimme ist und mühelos das hohe C(?) singt"...
Schüchter leitet das Orchester temperamentvoll und ist ein großartiger Kapellmeister der alten Schule".
Ekkehard Pluta (Opernwelt 2008):
"der Gounod'sche Mephisto kommt bei Frick in der Maske des Biedermanns daher". Fricks Gesang stimmt Pluta in jeder Hinsicht zufrieden.
"Die reife Hilde Güden trifft den Tonfall des jungen Gretchen überzeugend. "Beresford schmettert Valentins Gebet höhensicher", und Schocks "vokale Eloquenz siegt über eine zunehmende Mühe im höchsten Register".
1938:
Rudolf Schock spielte vor dem Krieg in Braunschweig in der Oper 'Faust' die Rolle von Siebel (Siehe Gounod 1. Teil).
Meistens wurde und wird Siebel von einer Mezzosopranistin gesungen.
Oder von einer Soubrette, einer leichten, lyrischen Sopranistin wie Ursula Schirrmacher in der soeben besprochenen 'Margarete'-Aufnahme.
In der Schallplattengeschichte signalisiere ich nur ein einziges Mal einen tenoralen Siebel.:
Im Jahre 1967 ist es der leichte, lyrische und berühmte Tenor Luigi Alva, der diese Rolle auf Melodram-Schallplatte singt: es handelt sich um eine Live-Ausführung unter Georges Prêtre mit Mirella Freni als Marguerite und dem schweren Tenor Gianni Raimondi als Faust.
Leo Riemens (bekannter, niederländischer Opernkritiker) war unglücklich mit einem Tenor als Siebel, aber an und für sich ist es nicht unlogisch, diese Rolle einem (jungen) Mann anzuvertrauen. Es ruft aber schnell ein Bedürfnis nach einem (vielleicht zu) reif klingenden Faust hervor.
Jedenfalls besagt die Tatsache, dass Schock 1938 Siebel sang, vielleicht etwas über sein damaliges, leichteres Timbre.
1951:
Rudolf Schock sang am 7. September 1951 für den Westberliner Rundfunk Fausts Arie 'Salut, demeure chaste et pure', ohne Rezitativ und in deutscher Sprache.
Gustav König (1910-2005), der zwischen 1943 und 1975 als Generalmusikdirektor vor allem seinen Stempel auf das Musikleben in der deutschen Stadt Essen drückte und sich besonders für das Werk moderner Komponisten einsetzte, dirigierte das RIAS Symphonie Orchester.
Die Aufnahme kommt vor:
- auf Sonia CD 74503, und ist eine perfekte Produktion vom 'Fonoteam Hamburg' aus dem Jahre 1985 (damals noch LP).
- als einer der Bonustracks bei der Gesamtaufnahme von Aubers 'Fra Diavolo' auf Relief-Kassette CR 1909 Auch Reliefs Digitalisierung ist ausgezeichnet.
- in der schon oft erwähnten 10CD-Box von Membran/Documents:
'Rudolf Schock, seine schönsten Lieder aus Oper, Operette und Film'
(Order No 232541)
- YOUTUBE: GANZ OBEN ZU ANFANG DES TEXTES!
Ich setze diese - wie ich schon schrieb - fabulöse Aufnahme ohne Zögern in die lange Reihe großer Schockleistungen.
Kenneth Fury konnte Schocks Leistung 1979 noch nicht gehört haben, aber ich glaube, er hätte sie am sehrsten gelobt. Sie hat alles was Fury für eine ideale Ausführung der Arie notwendig achtet: Expression, Textdeutlichkeit, Reinheit ("purity"), liebenswürdige Zärtlichkeit und Atemkontrolle. Fausts Stimme klingt zugleich sensuell und verschämt, erfüllt von "banger Lust" und tiefe Ehrfurcht vor Margarete, für die das Leben nach ihrer Bekanntschaft mit ihm eine furchtbare Wendung nehmen sollte.
Hinter Rudolf Schocks Darstellung von Text und Musik ist einfühlbar, was im Herzen Fausts umgeht.
1957:
Auf EMI/Warner 545-CDM 769474 2 'Rudolf Schock, Opernarien' und auf Profil PH08058 (Edition Günter Hänssler) 'Rudolf Schock: Funiculi, Funicula' ist Schocks 'Gegrüß sei mir, o heil'ge Stätte' noch einmal auf deutsch zu hören.
Diesmal mít dem Rezitativ: 'Welch unbekannter Zauber faßt mich an'.
Wilhelm Schüchter leitet die Berliner Symhoniker.
Nach packendem Rezitativ singt Schock die Kavatine selbstsicher und mit Flair. In der Mitte der Arie akzentuiert er überraschend, fast fieberhaft: "híer, ja híer..." und "voll süßer Zauber". Aus dem verschämten Faust aus dem Jahre 1951 ist nun ein gewandter Mann von Welt geworden.
1978:
Rudolf Schocks - letztes - Opernrecital mit dem Titel 'Für meine Freunde' und Fried Walter als Dirigent (Eurodisc-LP 200 090-366), ist u.a. interessant, weil Schock nachholt, was er in einer früheren Phase seines Lebens ablehnte (siehe 'RS, Sänger und Darsteller'):
Er singt einige Arien, die für Bariton geschrieben sind!
Schock sagt darüber: "Dies ist selbst für einen lyrischen Tenor, der immer eine gute Tiefenlage hatte, ungewöhnlich genug, und wenn die Baritonpartien auf dieser Platte nicht 'tenoral' klingen, sondern - wie ich meine - glaubhaft und dem Stimmfach des Bariton adäquat interpretiert sind, so darf ich ein klein wenig stolz darauf sein".
Rudolf Schock gibt sich tatsächlich alle Mühe, die Stimme in Tonios Prolog aus 'I Pagliacci', in Wolframs 'O du mein holder Abendstern' aus 'Tannhäuser' únd 'Valentins Gebet' aus 'Faust/Margarete' schön dunkel einzufärben.
Die Folge dieser Anstrengung ist aber, daß Schocks übliche, vokale Spontanität ein wenig zurückbleibt und der Vortrag etwas einförmig wirkt.
Valentins Gebet ("Da ich nun verlassen soll") kommt am besten davon: nach verhaltenem, drohend klingendem Anfang kriegt Rudolf Schock das Lied allmählich in den vertrauten Griff, und gelingt ihm zur Klimax hin eine gefühlsstarke Steigerung.
Krijn de Lege, 20.12.2012/25.6.2016/25.2.2020
Zum ersten Teil von 'Rudolf Schock & Charles Gounod' mit Einleitung, Ave Maria und Frühlingslied:
Link: https://tenorschock.blogspot.com/2012/11/rudolf-schock-charles-gounod-1.html
Link: https://tenorschock.blogspot.com/2012/11/rudolf-schock-charles-gounod-1.html