Unmittelbar nach der Vorstellung beauftragte Legge seine Electrola-Mitarbeiter, Probeaufnahmen zu machen (siehe 'RS singt Bizet'). Sowohl auf Emi (Aufnahme: 1955) als auch auf Eurodisc (Aufnahme: 1963) sind CDs von Höhepunkten aus der 'Verkauften Braut' mit Rudolf Schock erhältlich.
Von Leos Janácek (1854-1928) sang Rudolf Schock im Jahre 1938 am 'Landestheater Braunschweig' die Rolle des 'Jaca Klemen', des gewalttätigen Liebhabers der 'Jenufa (Její Pastorkyna: Ihre Pflegetochter)'. Meines Wissens existieren aus dieser Oper keine Aufnahmen mit Schock.
Im Jahre 1966 trat Rudolf Schock als Boleslaw Baranski ('Bolo') in der Aufnahme einer Kurzausführung der Operette 'Polská Krev (Polenblut)' von Oskar Nedbal (1874-1930) auf. Aus rätselhaften Gründen oder weil man die 'Polenblut' vielleicht schlechthin übersehen hatte, veröffentlichte Eurodisc die Aufnahme nie auf CD. Nur das 'Hamburger Archiv für Gesangskunst' produzierte neulich eigene CD-Kopien der 'Polenblut'-LP, die man beim Archiv bestellen kann. Oskar Nedbal war ein Musikstudent von Antonin Dvorák, mit dem er ein ganzes Leben befreundet blieb. Auch auf ihn werde ich in der Zukunft gerne zurückkommen, denn 'Polenblut' ist zu interessant, um noch einmal übersehen zu werden.
ANTONIN DVORÁK (1841-1904)
Der kleine Antonin wächst - von Fleischern umgeben - in einer Herberge an der Moldau auf: der Grossvater ist Fleischer, der Vater ist Fleischer, und Antonin und die vier Brüder werden gleichfalls Fleischer: "Als einziger aller Komponisten war er in der Lage, eine Kuh zu schlachten, zu erlegen und aus dem Fleisch Filetstücke und Wurst zu machen" (Uwe Kraemer - Philips Classic Productions 1993). Vom Dorfschulmeister (verdient so ein Pädagoge kein Standbild?) lernt er, auf der Geige zu spielen, und schon bald streicht er lustig drauflos, wenn in der Familienherberge getanzt wird.
Antonin vervollkommnet sich in der Musik, sorgt dafür - in seiner offiziell zweisprachigen, böhmischen Heimat redete man vorwiegend Tschechisch -, dass er besser Deutsch sprechen lernt, und zieht nach Prag, um eine professionelle Musikausbildung zu machen. Er komponiert, wird Organist, gibt (also auch dem jungen Nedbal) Musikstunden, aber verdient damit nicht genug Geld, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, und das begehrte Klavier zu kaufen. In Unterhaltungskapellen und Theatern gibt er sich mit Gelegenheitsarbeiten etwas mehr finanziellen Spielraum.
Dann aber - er ist 34 Jahre alt - wird Antonin Dvorák bei einem Musikwettbewerb von Johannes Brahms als (geistesverwandtes) Komponiertalent entdeckt.
Kompositionsaufträge, Dirigiereinladungen und das Geld strömen auf einmal herein. Neun Jahre später fängt Dvorák eine erste Konzertreise durch England an. Der Erfolg ist so gross, dass danach noch acht Englandreisen folgen sollten. Aber zwischen den Bravorufen hindurch bleibt Antonin Dvorák ganz normal " Ein einfacher Bauer aus Böhmen" (Bruno Gousset), der gern zu Hause ist, mit Freunden in der Dorfkneipe eine Runde Karten spielt, Tauben züchtet, und ganz versessen auf alles ist, was mit Eisenbahnen und ihren Fahrplänen zu tun hat.
Im Jahre 1891 erreicht Dvorák den Status einer Berühmtheit in der 'Alten Welt', und 1892 fährt er - auf Einladung - mit der ganzen Familie einschliesslich der Haushälterin in die 'Neue', um von Verwaltungsaufgaben freigestellter Leiter des neu gegründeten New Yorker-Konservatoriums zu werden. Auch in Amerika feiert Dvorák Triumphe. Er verlässt jedoch seine Wohnung eigentlich nur, um berufsmässige Pflichten zu erfüllen. Im abendlichen Ausgangsleben - auch im musikalischen - sieht man ihn selten. Für Dvorák zählen allein der Familienkreis, Ozeandampfer, die er inzwischen viel interessanter als Lokomotiven findet, und die Musik. In Amerika entstehen seine neunte und letzte Sinfonie ('Aus der Neuen Welt' Op. 95) und ein Zyklus von acht 'Humoresquen' (Op. 101), deren siebente (siehe weiter) überall und in vielfacher Weise bekannt geworden ist.
Rudolf Schock singt Antonin Dvorák
Antonin Dvorák schrieb etwa 10 Opern: die erste 1870 ('Alfred'), die letzte 1902/1903 ('Armida'). Davon ist - besonders vom tschechischen Label Supraphon - der weitaus grösste Teil im Laufe der Jahre auf der Schallplatte festgehalten worden. Dvoráks bekannteste Oper - von der Wassernymphe 'Rusalka' (1890), die sich in einen sterblichen Prinzen verliebt - mehrere Male (NB: Verwirren Sie Dvoráks 'Rusalka' nicht mit der 'Rusalka'-Oper des russischen Komponisten Alexander Dargomyschskij).
Die Electrola machte vor fast einem halben Jahrhundert Reklame mit den Titeln aller Opern und Operetten, woraus Rudolf Schock bis zum Jahre 1962 Musik aufgenommen hatte. Darunter befanden sich laut der Anzeige auch 'Rusalka' von Dvorák und 'Die toten Augen' von Eugen d'Albert. Ich vermute, beide Titel seien Irrtümer, aber es kommt mir wichtig genug vor, sie hier zu erwähnen, denn bei Schock (und Electrola/Emi) weiss man eigentlich nie. Vorläufig beschränkt sich meine Sammlung - was Dvoráks 'Rusalka' betrifft - auf die prachtvolle Mondarie ('Du lieber Mond so silberzart'), die von der jung gestorbenen, lyrischen Sopranistin Elfriede Trötschel in einer Gesamtaufnahme unter Joseph Keilberth aus dem Jahre 1951 unvergleichlich schön gesungen wird.
Auf 'YouTube' singt eine andere grosse Sängerin: Lucia Popp - auch sie verstarb relativ jung - die Arie in tschechischer Sprache.
Zurück nach Rudolf Schock: was er von Antonin Dvorák jedenfalls WOHL aufnahm, waren die acht 'Liebeslieder' (Op. 83) und eine Bearbeitung der 7. 'Humoresque' (Op. 101).
Der Vollständigkeit halber bemerke ich dazu, dass Schock die 'Liebeslieder' auch im Konzertsaal gesungen hat.
'Liebeslieder' Op. 83 (Eurodisc-LP nr. 486284 KK 'Lieder von Antonin Dvorák und Richard Strauss' Rudolf Schock wird am Klavier von IVAN ERÖD begleitet. Aufn.: Berlin, 21.7.1972)
Antonin Dvorák hat sich einen grossen Teil seines Lebens mühsam mit Liedern beschäftigt.
Schon 1865 (Er ist dann 24 Jahre alt) schreibt er - gegen den Hintergrund tief gefühlter, persönlicher Erfahrungen - die Musik für einen Liederzyklus unter dem Titel: 'Zypressen'. Der Zyklus kommt nicht an. Aber Dvorák hält ihn für so bedeutungsvoll, dass er fortfährt, an dessen Melodien zu feilen. Beziehungsweise in den Jahren 1881 und 1882 veröffentlicht er - wieder von der Kritik ignoriert - zwei kleine, überarbeitete Liedsammlungen als 'Sechs-' und 'Vier Lieder' und im Jahre 1887 - unter dem Namen 'Zypressen'(!) - ein Streichquartett, worin er seine Musik des alten Zyklus wieder verwendet.
Ein Jahr später trifft der Komponist-vokaler-Musik Dvorák jedoch ins Schwarze: acht bearbeitete Lieder auf Texten des Dichters Gustav Pfleger-Moravsky (1833-1875) haben als Opus 83 unter dem Gesamttitel 'Liebeslieder' einen unerwarteten Erfolg. Sie sprechen, oder besser: singen von Liebesglück, das ernsthaft in Liebesleid umzuschlagen droht. Von Anziehen und Abstossen, von fieberhaftem Verlangen, von Hoffnung auf Liebeserfüllung, die der Angst vor dem 'bitt'ren Scheiden', das 'so elend und freudlos macht', nicht gewachsen ist. In 'Du einzig Teure', dem letzten Lied, träumt der Sänger davon, er lasse sich in der Gestalt eines weissen Schwans auf Schwingen zur Geliebten tragen, um sich buchstäblich für ewig in ihr zu verlieren ('verhauchend'= den Geist geben). Ich erfuhr, dass ich - erst nachdem ich mir den Liedern einige Male angehört hatte - mir ihrer Schönheit bewusst wurde. Eine allzugrosse Zeitinvestierung war das übrigens nicht, denn die acht Lieder dauern insgesamt kaum etwas mehr als eine Viertelstunde.
Rudolf Schock singt die Lieder in deutscher Sprache, was für die 'Liebeslieder' ganz üblich ist (war?): Dvorák selber übersetzte viele seiner Lieder aus dem Tschechischen ins Deutsche. Bei den 'Liebesliedern' überliess der Komponist das Übersetzen der Dichterin Otilie Malybrok-Stieler (1836-1913), von der er sechs Jahre eher schon Texte (die 'Vier Lieder' aus dem Jahre 1882) vertont hatte. Rudolf Schock nahm die 'Liebeslieder' am 21. Juli 1972 für Eurodisc auf und einen Tag später Lieder von Richard Strauss. Schock ist - in Anbetracht des Aufnahmejahres - in den Strauss-Liedern sehr gut bei Stimme.
In den Antonin Dvorák-Liedern ist er das ebenfalls, wenn er auch im hohen Register ein einziges Mal durch eine gewisse vokale Ungeschmeidigkeit hindurchsingen muss. Gegen die künstlerische Leistung in ihrer Gesamtheit ist jedoch nichts anzuwenden:
Rudolf Schock fühlt sich in die gepeinigte Geistesverfassung eines unglücklich verliebten Menschen mit beherrschter Hingabe ein: er übertreibt nicht, geht auch nicht auf Distanz und wirkt nie manieriert.
Der Liedersänger Schock ist (lesen Sie 'RS singt Johannes Brahms') ungeändert hervorragend beim intuitiven Finden einer präzisen, zeitlosen und darum stets gültigen Balance zwischen Form und Inhalt, Musik und Text.
Wenn Sie die Gelegenheit haben, hören Sie sich, bitte, diese Lieder einige Male hintereinander an. Sie werden immer schöner!
'Humoresque' Op. 101, Nr. 7: 'Eine kleine Frühlingsweise':
U.a. auf Sony/Ariola CD 610229 'Rudolf Schock, Stimme für Millionen'. Schock wird vom Berliner Symphoniker unter Dir. FRIED WALTER begleitet. Aufnahme: Berlin, 1.6.1966.
Nach manchem strengen Musikliebhaber gilt diese ansteckende Frühlingsweise als "wieder so eine geschmacklose Adaptation" einer "seriös gemeinten" Komposition: es stiess Chopin zu, von dem eine Etüde zu " 'In mir klingt ein Lied(chen!)' degradiert wurde: es geschah Bach und Schubert, deren Musik u.a. zu "kitschigen Ave Marias" herabgesetzt wurde, und es passierte Beethoven, dessen 'Andante con moto' aus der Klaviersonate Op. 57 in eine 'Hymne an die Nacht' umgewandelt worden war. Und so sollte es auch Dvoráks siebente 'Humoresque' ergangen sein. Ich käme auf Abwege (denn wie über Künstler zu urteilen, die solche "kommerziellen Produkte" singen?), wenn ich über dieses Nasenrümpfen ins Philosophieren geraten würde. Ich kann es aber nicht unterlassen, zu bemerken, manches 'Produkt' sei das Resultat seriöser Bearbeitungen respektabler Komponisten.
Denken wir z.B. an Charles Gounod (in bezug auf Bach) und Friedrich Silcher (was Beethoven betrifft).
Die acht 'Humoresquen' werden 1894 von Antonin Dvorák in New York geschrieben und sind in erster Instanz als heitere Einfälle für Klavier gedacht. Der berühmte Violinist und Komponist Fritz Kreisler(1875-1962) arrangiert sie für Klavier und (die eigene) Violine.
Von den acht 'Einfällen' wird vor allen die 'Humoresque Nr. 7 in ges: poco lento e grazioso' populär. Wahrscheinlich einer der ersten Texte auf ihre Musik ist ein New Yorker Gassenhauer, der mit den folgenden Regeln anfängt: 'Passengers will please refrain (= verzichten auf)/from flushing toilet while the train/is standing in the station, I love you....' (versuchen Sie es mal zu singen: es stimmt musikalisch genau. Die ziemlich wie vom Himmel fallende Liebeserklärung entspringt möglicherweise aus dem Eisenbahnhobby des Komponisten).
Im Jahre 1932 schreibt der kurz zuvor nach Amerika emigrierte Österreicher Hans J. Lengsfelder (1903-1979) einen seriösen(!) Text auf die Melodie. Musik und Text erscheinen in gedruckter Form. Auch in Deutschland/Österreich, aber wohl unter dem Vorbehalt, dass der Name des (jüdischen) Textdichters gestrichen wird. Im Jahre 1933 macht Harry Frommermann, Mitglied der legendären 'Comedian Harmonists', für die Gesangsgruppe ein neues Arrangement für Violine und Klavier.
So wächst 'Eine kleine Frühlingsweise (A little Maytime-Song)' zum grossen 'Dvorák-Schlager'!
Neben den Comedian Harmonists singen später u.a. Richard Tauber, Anneliese Rothenberger, Fritz Wunderlich und Rudolf Schock das Lied, was auf Schallplatte/CD festgehalten worden ist.
Neulich hörte ich wieder einmal die Ausführungen von Wunderlich (auf 'YouTube') und Schock (auf CD).
Ich empfehle Ihnen beide Versionen wärmstens: Wenn solch ein Lied so strahlend gesungen wird, könnte - glaube ich - keine(r) sich dem Aufruf mehr entziehen, jedes schöne Moment in diesem - kurzen - Leben völlig zu geniessen!
Krijn de Lege, 11.9.2010/21.1-2020