RUDOLF SCHOCK singt GEORGES BIZET
Fragmente Carmen 1951 Dir: Ferenc Fricsay
Es gibt ACHT Schock-Aufnahmen der BLUMENARIE ('La fleur, que tu m'avais jetée'/'Hier an dem Herzen treu geborgen') aus dem 2. Akt von Bizets Oper 'CARMEN', die auf CD/YouTube zu hören sind.
Die Gesamtausführung der Oper 'Carmen' mit Rudolf Schock in der Rolle von Don José wurde ZWEIMAL INTEGRAL und ZWEIMAL als QUERSCHNITT aufgenommen. Auch diese vier Aufnahmen gibt es auf CD/YouTube.
Von Schock existieren weiter zwei Fragmente aus 'LES PÊCHEURS DE PERLES' ('DEN PERLENFISCHERN'): das berühmte Duett (mit dem Bariton Josef Metternich) und dreimal die Romanze, beide aus dem 1. Akt. Letzten Endes kann man den Opernsänger noch dreimal in einem 'AGNUS DEI' hören, dessen Musik zwar von Georges Bizet ist, aber dessen Text nach Bizets Tode - zum kirchlichen Gebrauch - zugefügt worden ist.
GEORGES BIZET (1838-1875)
Während seines relativ kurzen Lebens bricht Georges Bizet künstlerisch nicht völlig durch. Man sieht ihn als 'vielversprechend', aber seine 'Erfolge' sind bescheiden. Die Oper 'Die Perlenfischer' (Paris, 1863) kommt nicht an und muss 30 Jahre lang auf Wiederaufführung in Paris warten, und das geschieht dann nur, weil 'Carmen' in der Zwischenzeit ein Welterfolg geworden ist. Erst im Laufe der letzten drei Monate seines Lebens wird Bizet berühmt: Am 3. März 1975 hat 'Carmen' im Pariser 'Opéra Comique-Theater' Premiere. Die Oper wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen: ein Teil des Publikums ärgert sich über 'die 'wagnerianische (?) Grobheit des Themas', die Unanständigkeit der Titelheldin' und den 'Bruch mit der wertvollen Tradition der Opéra Comique', aber ein anderer Teil findet die Oper grossartig. Diese Begeisterung wächst mit jeder Ausführung. 'Carmen' wird darum nicht (wie je 'Die Perlenfischer') vom Spielplan gestrichen, und wenn Bizet am 3. Juni 1875 stirbt, erlebt die Pariser Oper schon die 23. Aufführung. Viertausend Leute wohnen Bizets Beerdigung bei. Unter ihnen sind die - und das darf als überdeutliches Statement gelten - in der alten Tradition gross gewordenen Komponisten Charles Gounod und Ambroise Thomas. Sie u.a. tragen Georges Bizet zur letzten Ruhestätte.
Carmen eine Opéra comique?
In meinen Einführungen bei 'RS singt Adophe Adam/Daniël Auber' behandelte ich in grossen Zügen die Entwicklung von Opera seria, via Opera buffa, zur (französischen) Opéra comique, die durch gesprochene Dialoge gekennzeichnet wird, und eine Handlung hat, die sich vom Komischen zum Romantischen verschiebt. Bizet schreibt seine 'Carmen' mit gesprochenen Dialogen in der Tradition der Opéra comique, aber inhaltlich lenkt er in andere Bahnen ein. Die Geschichte von Carmen und dem ihr verfallenen Liebhaber Don José ist gar nicht komisch und keine romantische Flucht aus der Wirklichkeit, sondern gerade ein Sprung vorwärts IN die Wirklichkeit. Dieser 'Realismus' (ital.: 'Verismo') sollte 15 Jahre später als Modell für die Textbücher der vielleicht wohl bekanntesten, veristischen Opern 'Cavalleria Rusticana' (Pietro Mascagni 1890) und 'I Pagliacci' (Ruggiero Leoncavallo 1892) dienen.
Noch imselben Jahr der französischen Premiere erlebt 'Carmen' in einer deutschen Übersetzung von Julius Hopp die Erstaufführung in Wien. Hier jubeln die Opernliebhaber dem Werk ohne Vorbehalt zu, und damit beginnt ein Siegeszug, der nie mehr aufhören sollte. Die Neigung besteht, die internationale Viktoria, die in Wien anfing, der Tatsache zuzuschreiben, dass die gesprochenen Dialoge durch gesungene Rezitative ersetzt wurden. Ob das wirklich so ist, bleibt eine offene Frage. Jedenfalls machte die Oper wohl einen anderen Eindruck: die Rezitative hörten sich erhabener an, erinnerten sogar an die grossen, historischen Opern von damals. Möglicherweise überkam die Zuhörer - der Inhalt war ja sehr tragisch - ein 'Opera seria-artiges' Gefühl. Später entstand übrigens eine Strömung, die die gesprochenen Dialoge der Opéra comique wieder zu Ehren bringen wollte. Es ist ein besonderer Reiz, dass die zwei Gesamtaufnahmen mit Rudolf Schock eine gute Gelegenheit bieten, beide 'Carmen'-Fassungen miteinander zu vergleichen: die Aufnahme unter Eugen Jochum (1954) mit gesprochenen Dialogen und die unter Horst Stein (1961) mit gesungenen Rezitativen.
Der Komponist der gesungenen Rezitative: Ernest Guiraud (1837-1892)
Ernest Guiraud war mit Bizet befreundet, und er tat nach dessen Tode, was Bizet selber wahrscheinlich schon einige Zeit beabsichtigte. Das darf angenommen werden, weil Bizet fortwährend an den eigenen Kompositionen feilte. Manche Leute nennen so etwas Unsicherheit, andere Leute einen kräftigen Hang zur Perfektion. Guiraud schrieb für die Oper 'CARMEN' die Rezitative, die gesungen werden sollten, und er machte das fachgerecht. Die Verfechter der gesprochenen Dialoge sogar konnten es darum später nicht übers Herz bringen, aus dem stimmungsvollen Rezitativ bei Micaëlas Arie (3. Akt) wieder einen gesprochenen Monolog zu machen. Auch ergänzte Guiraud den ziemlich kurzen 4. und letzten Akt mit Ballett auf Bizets Musik aus der 'L'Arlésienne-Suite' und der Oper 'La jolie Fille de Perth'.
Ernest Guiraud dachte sich auch 'Bizet's AGNUS DEI' aus. Die Musik lieferte der erste Teil vom 'Intermezzo' aus Bizets 'L'Arlésienne' (1872). 'L'Arlésienne' diente dem gleichnamigen Schauspiel von Alphonse Daudet als musikalischer Kontext. Guiraud änderte das Arrangement und fügte der Musik den lateinischen Text hinzu. (Nennen wir hier auch schon Guirauds Leistung, Jacques Offenbachs 'Les Contes d'Hoffmann' instrumentiert zu haben. Damit erschloss er eine der genialsten und wirkungsvollsten Schöpfungen des Musiktheaters für die Opernbühne).
Über den Inhalt von 'Carmen'
Holzschnitt: Sammlung E.Leonhart, Dortmund
Henri Meilhac und Ludovic Halévy (nicht mit dem Komponisten Jacques François Halévy zu verwechseln!) schrieben das Libretto nach einer 'Carmen'-Novelle vom französischen Schriftsteller Prosper Mérimée (1803-1870). Die Geschichte fiel durch psychologische Gedankentiefe auf. Dazu zeigte sie einen Realismus, der viel Staub aufwirbelte. In der Novelle treten die Figuren des Toreadors Escamillo und des Bauernmädchens Micaëla nicht auf, im Textbuch von Meilhac & Halévy wohl.
Vier Personen stehen in der Oper zentral: Carmen, Don José, Micaëla und Escamillo. Carmen, das Mädchen aus der Zigarettenfabrik, könnte man betrachten als eine 'Theaterschwester' von 'Lulu'(siehe 'RS singt Alban Berg'). Sie übt eine sehr starke Anziehungskraft auf Männer aus und sündigt (unbewusst) gegen jede Form der vorherrschenden Moral. Nur die eigene Logik zählt und zwar die Logik der bedingungslosen Liebe, die aber per definitionem keine Logik duldet. Diese Liebe ist flüchtig und gefährlich. Carmen befindet sich zwischen zwei Männern: dem schmerzlich verliebten und unbedeutenden Sergeanten Don José und dem selbstsicheren und gefeierten Toréador Escamillo. Don José befindet sich seinerseits zwischen zwei Frauen: zwischen der ihm unbegreiflichen Carmen und der tapferen, unkomplizierten Micaëla, dem Mädchen vom Lande, das ebenfalls seine Heimat ist. Im letzten Akt tötet Escamillo in der Arena den Stier, und bringt Don José in 'seiner Arena' die 'Bestie' Carmen um.
Carmen: eine SPANISCHE Oper?
Sevilla, die Unheilsstätte, liegt in Spanien, und Stierkämpfe sind besonders ein spanisches Phänomen, aber Bizets Musik kann man kaum 'spanisch' nennen. Das Spanische ist nur Äusserlichkeit. Z. B. Carmens verführerische 'Habanera' beim Kastagnettenklang mutet zwar folkloristisch an, aber ist ein gelungenes Upgrading einer schlichten Salonweise vom Zeitgenossen Sebastian de Yradier, dessen 'La Paloma' - ohne Bizet - auch zum Evergreen wurde.
Die Stimmtypen von Carmen, Don José, Micaëla und Escamillo
Der niederländische Opernkenner Leo Riemens hat genau nachgeforscht, für welche Stimmlagen Bizet die Hauptpartien in 'Carmen' gemeint hat: Er schrieb die Carmen-Rolle für eine hohe Mezzosopranistin, die Don José-Rolle für einen typischen 'demi-caractère tenor', die Escamillo-Partie für einen 'basse-chantante' und die Partie der Micaëla für eine lyrische Sopranstimme. In der Theaterpraxis aber wurde und wird Carmen auch von echten Ältistinnen und echten Sopranistinnen gesungen, Escamillo auch von Heldenbaritonisten und don José von Heldentenören. Für Carmen ist es notwendig, dass die Sängerin sowohl eine sehr gute Höhe als Tiefe hat. Der 'demi-caractère tenor', der Don José singt, muss 'den Akzent des Heldentenors und die Lyrik eines leichten Tenors' (Riemens) kombinieren können. Rudolf Schock erläutert in seiner Biographie, er habe die Don José-Rolle immer gerne gesungen und gespielt. Nicht nur als Schauspieler fühlte er sich herausgefordert, sondern auch als Sänger, denn: '...diese Rolle erfordert eigentlich zwei Tenöre: einen lyrischen zu Beginn und einen heldischen zum Finale'. Rodney Milnes ('Opera on Record', Harper Colophon Books 1982) nennt als eins der Kennzeichen der Blumenarie das 'pianissimo b-Moll' (engl. b flat) am Ende der vorletzten Gesangzeile: 'Et j'étais une chose à toi!'/'Und ewig gehör' ich Dir an!!'. Milnes ist der Meinung, diese Zeile müsse zärtlich gesungen werden und nicht als 'furiose Beschuldigung', aber ergänzt, 'als Musikkritiker habe er dann bald ausgeredet, weil nur wenig Don José-Tenöre so etwas anstrebten oder dazu imstande waren'. Er tröstet sich mit dem Gedanken, 'dass für die Arie viel mehr Musikalität als dieser einzige Moment allein erwünscht sei'.
Rudolf Schock als Don José LIVE
Rudolf Schock trat als Don José zwischen Mai 1948 und Mai 1968 vielfach auf. Wiederholt sang und spielte er die Rolle an der Wiener (1952-1957) und der Hamburger Staatsoper (1948-1958). Weiter konnte man ihn als Don José in einer grossen Anzahl deutscher Städte, daneben in Österreich und Belgien bewundern. Seine Dirigenten waren u.a. Franz Konwitschny, Heinrich Hollreiser und Wolfgang Sawallisch, Carmens: Martha Mödl, Georgine von Milinkovic, Jean Madeira, Christa Ludwig, Kerstin Meyer und Grace Bumbry.
Ein Kritiker schreibt November 1956 anlässlich der Wiener Carmen-Premiere folgendes: Jean Madeira (Carmen) ist zuviel 'made in Hollywood', der 'Escamillo-Import' ein Fiasko, aber Rudolf Schock überzeugt 'in dieser schwierigen Tenorpartie'...' Besonders gut gelangen ihm die lyrischen Stellen....Die kluge Phrasierung wurde noch durch eine natürliche Darstellung unterstrichen'. Es fällt auf, dass in dieser Ausführung einige, kleinere Rollen ('in ausgezeichneter Weise') von Wiener Berühmtheiten wie Wilma Lipp (Frasquita), Erich Kunz (Dancairo) und Peter Klein (Remendado) gesungen werden.
Am 21. Dezember 1958 hat in Hamburg eine einzigartige 'Carmen' mit Rudolf Schock Premiere. Das Einzigartige daran war besonders die Tatsache, dass Wieland Wagner, Enkelsohn des Komponisten Richard Wagner, Regie führt.
WIELAND WAGNER und Rudolf Schock
Foto Peyer: K. Meyer/R. Schock
Die schwedische Sängerin Kerstin Meyer singt Carmen, Rudolf Schock Don José, Melitta Muszely Micaëla und der amerikanische Sänger Richard Collett Escamillo. In den Nebenrollen bekannte Namen wie: Gerhard Stolze, Kurt Marschner, Toni Blankenheim und Erna Maria Duske. Dirigent ist Wolfgang Sawallisch. Das Hamburger Abendblatt interviewt Wieland Wagner und bespricht die kommende Premiere. Die Zeitung betont, dass eine '... "heidnische Carmen" uns erwarte...', dass Wieland Wagner keine Angst habe, mit der Vergangenheit zu brechen, dass Spanien und Ballette gestrichen worden seien, und dass der Dekor abstrakter und eben dadurch vielsagender sein werde. Aus der Besprechung nach der Premiere stellt sich heraus, dass Wieland Wagner die älteste Carmen-Version mit den gesprochenen Dialogen gewählt hat. Der Kritiker urteilt, das Werk sei 'gut entstaubt worden', aber es mache in Wagners Regie-Auffassung doch wohl einen ziemlich 'eingedeutschten' Eindruck. Über den Dirigenten wird Gutes gesagt, aber für Bizet fehle es ihm ein wenig an 'Biegsamkeit, dem inneren Federn'. Kerstin Meyer ('eine Leistung von Format!'), Rudolf Schock ('Erfolg mit der Blumenarie' und 'grosse Akzente im Schlussakt') und Melitta Muszely ('keine Sentimentalität') bekommen gute Kritiken. Der Artikel endet mit der Schlussfolgerung: 'Die neue dramatische Arbeit, die Sängerleistungen, die szenische Wirkung und nicht zuletzt Bizets Musik: alles vereinte sich und führte zu rauschendem Premierenbeifall'.
Foto Peyer: v.l.n.r.
Wagner/Muszely/Schock
Wieland Wagner (1917-1966) hatte in den Jahren vor der Hamburger 'Carmen'-Regie mit seinen radikal erneuten Inszenierungen der Opern seines Grossvaters grosses Aufsehen erregt
('Neu-Bayreuth'): grossartige Lichteffekte traten an die Stelle der naturalistischen Dekors, Abstraktion verdrängte Konkretion, und Form wurde dem Inhalt untergeordnet.
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wagt sich Wieland Wagner nicht nur an Bizet, sondern auch an Opern von Christoff Willibald von Gluck und Ludwig van Beethoven heran.
Nach der Bizet-Premiere in Hamburg bietet Wieland Wagner Rudolf Schock die Rolle von Walther von Stolzing in Richard Wagners 'Meistersingern von Nürnberg' an. Schock akzeptiert - nach einigem Zögern, worauf ich in der Zukunft gewiss zurückkomme - das Angebot: Sommer 1959 wird er als Walther von Stolzing in (Neu-)Bayreuth auftreten.
Carmen-Aufnahmen mit Rudolf Schock
In der Biographie sagt Schock, er sei während der Aufnahme 'blendend disponiert', und das ist hundertprozentig wahr. Ausserdem beweist Schock, dass er 1946 die Interpretation der Arie schon völlig beherrscht. Auffallend ist das Selbstbewusstsein des jungen Sängers (31 Jahre alt), womit er Carmen das emotionelle Erlebnis im Gefängnis erzählt. Alles stimmt an dieser (m.E. historischen) Darstellung. Nur das 'b-Moll' am Ende der vorletzten Zeile ist nicht 'pianissimo'. Aber Schocks 'Sturm und Drang' in diesem Moment benimmt dem Zuhörer buchstäblich den Atem!
Schallplattenproduzent Electrola (später EMI, heute Warner) machte eine Testaufnahme (hatte man Schocks Rundfunk-Ausführung der 'Blumenarie' aus dem Jahre 1946 nicht gehört?), um festzustellen, ob Schocks Stimme sich für die Schallplatte eignete. Und das war so. Die Testpressung (eine 78-er Schellackplatte) bekam Schock als Souvenir geschenkt. Jahre später nach einem Einbruch in seine Berliner Wohnung wurde u.a. die alte Platte in Stücken wiedergefunden. Zum Glück hatte Schock rechtzeitig eine Tonbandaufnahme des Dokuments gemacht, wozu er eine Ansage machte. Blumenarie und Ansage kann man beide auf der eindrucksvollen Doppel-CD mit Schock finden, die Relief im Jahre 2005 veröffentlicht hat. Es ist eine Form der Gerechtigkeit, dass Adolf Stauch (1903-1981), der Rudolf Schock seit 1937 dezennienlang als Dirigent, Pianist und guter Freund der Familie begeleitete, bei diesem für 'seinen' Sänger so wichtigen Ereignis am Klavier sitzt und spielt. Schock singt die Arie vortrefflich, aber man spürt doch eine andere Spannung als bei der Rundfunk-Aufnahme ein Jahr früher. Der erste Teil der Arie klingt befangen. Im zweiten Teil wird diese Befangenheit relativ überkompensiert. Dadurch kommt mir Schocks Erzählung nicht ganz ausgewogen vor. Aber ist das nicht logisch? Ein Examen ist und bleibt eine spannungserregende Erfahrung.
Die grosse Überraschung aus dem Jahre 2007! Eine Aufnahme, die selbst in der sehr sorgfältig zusammengestellten Diskographie von Rudolf Schock ungenannt blieb. Genauso wunderschön wie die wohl erwähnte Gesamtausführung der 'Rigoletto' von Guiseppe Verdi - auch unter Fricsay - mit Streich, Schock und Metternich! Die Tonaufnahmen sind hervorragend: Durch die verblüffende Transparenz würde man fast vergessen, dass es sich hier um Mono-Aufnahmen von vor knapp 60 Jahren handelt.
Der ungarisch-österreichische Dirigent Ferenc Fricsay (1914-1963) erreicht mit dem RIAS-Symphonie-Orchester eine 'Carmen'-Kurzfassung, die das Werk anders als üblich klingen lässt.
Im CD-Booklet von Audite (Text von Habakuk Traber) werden die Unterschiede detailliert ausgearbeitet: Bei Fricsay stehen die dramatischen Momente der Musik in extremem Kontrast zueinander: bald malt er das Geschehen nuanciert, aber zugleich distanziert aus, bald verstärkt er es gerade durch ein provozierendes Verzögern. Letztgenanntes passiert z.B. in der Blumenarie: Fricsay hält einfach Gesang und Orchesterspiel inne zwischen 'Dein ist mein Herz' und 'Und ewig gehör' ich Dir an!'. Eine kurze Weile gibt es vollkommene Stille, und dann bricht - explosiver noch als vor fünf Jahren unter Felix Lederer - Don Josés 'Sturm und Drang' hervor, der 'dem Hörer den Atem stocken lässt' (Benjamin Künzel - magazin.klassik.com/reviews). Nahtlos anschliessend erleidet der arme Hörer - in atemlosem Befinden also - Don Josés glühend gesungene Worte: 'Carmen, ich liebe dich' wobei das 'Iii' von 'liebe' endlos angehalten zu werden scheint.
Fricsay führt eine 70-minütige Bizet/Guiraud-Kurzfassung der Oper - ohne Escamillo! - aus. Das hat zur Folge, dass er einige gesungene Rezitative hören lässt und die (vollständige!) Ballettmusik spielt, womit Guiraud den 4. Akt ergänzte.
Margarete Klose (1902-1968) ist an und für sich keine ideale Carmen. Die Rolle gehörte aber wohl zu ihrem vokalen Rüstzeug. Im Jahre 1948 sang sie die Carmen in einer Rundfunkübertragung unter Hans Schmidt-Isserstedt (mit Schock als Don José), und 1953 war sie als Carmen auf der Wiener Bühne zu sehen und zu hören. Fricsay muss Margarete Klose bewusst für die Carmen-Rolle ausgewählt haben: Ihr dramatisch-dunkles Timbre gibt einen schönen Kontrast mit der klaren Sopranstimme von Elfriede Trötschel als Micaëla ab. Kloses Habanera ist kein Ausbund an Verführung, aber in der schaudererregenden Kartenszene aus dem 3. Akt ist die grosse Wagnerdarstellerin von imposantem Format. Sie erreicht dann das Niveau der grandiosen Christa Ludwig in der Horst Stein-Aufname aus dem Jahre 1961. Auch im Schlussduett (oder Schlussduell) mit Rudolf Schock überzeugt sie. Ich finde denn auch, dass Klose in den vielen - im übrigen sehr lobenden - Kritiken anlässlich dieser Carmen-Aufnahme zu oft als 'teutonisch' und 'wagnerianisch' 'beiseite gestellt' wird. Was das 'Wagnerianische' betrifft, ist sie übrigens in guter Gesellschaft, denn hatte man je so etwas auch nicht von Bizet gesagt?
Elfriede Trötschel (1913-1958) ist eine angenehm mädchenhafte Micaëla. Sie wagt sich vertrauensselig wie Alice in ein bedrohendes Wunderland hinaus. Der Zwiegesang mit Don José ist von Fricsay komprimiert worden, was dessen Schönheit gar nicht schadet.
Rudolf Schock ist sehr, wirklich sehr gut. Habakuk Traber im CD-Booklet: 'der gerade 36-jährige Rudolf Schock befand sich im Zenith seiner stimmlichen Entwicklung'. Er ist ein zugleich kräftiger und gefühlvoller Don José, 'lovely rendering in the Flower Aria' (Gary Lenco). Ekkehard Pluta (Fonoforum 2008) fragt sich, wo man heute noch so viel 'deklamatorische Deutlichkeit und solche Intimität' erlebt wie hier bei Rudolf Schock. Göran Forsling (Music Web-International): '...he has his phrases lovingly...deeply involved in de second act-confrontation with Carmen...powerly climaxes in the Flower Song and he ends it softly! (Forsling zielt auf die zärtlichen Worte 'Carmen, ich liebe dich', worin er Bizets Pianissimo-Wünsche von Rudolf Schock grossenteils verwirklicht achtet) ...moving in the final scene'. Letzten Endes Benjamin Künzel (Magazin.klassik.com): 'Rudolf Schock mit strahlendem Stimmklang und beneidenswerter Artikulation'.
Diese Carmen-Ausschnitte gab es am Ende der Fünfziger auf LP und wurden im Jahre 2000 auf CD herausgebracht. Im Jahre 1952 dirigiert Artur Rother (1885-1972) Schocks Blumenarie und die vollständige Version des Duetts Don José-Micaëla mit Schock und Schlemm.
Wilhelm Schüchter (1911-1974), in den fünfziger und sechziger Jahren in Rundfunksendungen und für den Produzenten Fritz Ganss (Electrola und Eurodisc) aktiv als Dirigent vieler Opern- und Operettenaufnahmen mit Rudolf Schock, nimmt die 1954-Aufnahmen der Sänger, die 1956-Aufnahmen mit den vier orchestralen Vorspielen und die 1958-Aufnahme der Micaëla-Arie auf sein Konto.
Die warme Altstimme von Sieglinde Wagner (1921-2003) ist eine Wohltat für das Ohr, aber sie profiliert die Zigeunerin Carmen kaum (Habanera und Kartenterzett). Im Schlussduett mit dem wieder idealen Don José von Rudolf Schock macht sie das auf einmal wohl.
Wahrscheinlich ist ein Teil dieses Duetts auch in Schocks 'italienischen' Film 'Die Stimme der Sehnsucht' (1956) eingefügt worden.
Schocks Arie 'Hier an dem Herzen treu geborgen' entfaltet sich anfangs wie eine prachtvolle Blume: prominent vor dem Aufnahme-Mikrophon. Allmählich aber, wenn er von Emotion überwältigt wird, vergrössern die Aufnametechniker den Abstand zwischen Stimme und Mikrophon, wodurch der leidenschaftliche Aufbau zum begehrten 'b-Moll' (die an sich tadellos gesungen wird) abgeschwächt wird. Schock kann nichts dafür, aber zum stockenden Atem am Ende der Arie kommt es - bei mir - nicht ganz.
Josef Metternich (1915-2005) singt mit dem von ihm vertrauten vokalen Feuerwerk in einer von Schüchter hinreissend dirigierten Toréador-Szene einen Macho-Escamillo. Treffend ist der darstellerische Unterschied mit 'basse chantante' Hermann Prey in der Horst Stein-Aufnahme (1961).
Anny Schlemm (1929) als Micaëla klingt 1958 in der grossen Arie mit Rezitativ kräftig und macht keinen ängstlichen Eindruck. Der vokale Kontrast mit Sieglinde Wagner fällt dadurch nicht so glücklich aus. Im Duett mit Schock (1952) singt Schlemm wärmer, und man hört, dass sie damals sechs Jahre jünger war.
Die Gesamtausführung der Oper 'Carmen' mit Rudolf Schock in der Rolle von Don José wurde ZWEIMAL INTEGRAL und ZWEIMAL als QUERSCHNITT aufgenommen. Auch diese vier Aufnahmen gibt es auf CD/YouTube.
Von Schock existieren weiter zwei Fragmente aus 'LES PÊCHEURS DE PERLES' ('DEN PERLENFISCHERN'): das berühmte Duett (mit dem Bariton Josef Metternich) und dreimal die Romanze, beide aus dem 1. Akt. Letzten Endes kann man den Opernsänger noch dreimal in einem 'AGNUS DEI' hören, dessen Musik zwar von Georges Bizet ist, aber dessen Text nach Bizets Tode - zum kirchlichen Gebrauch - zugefügt worden ist.
GEORGES BIZET (1838-1875)
Während seines relativ kurzen Lebens bricht Georges Bizet künstlerisch nicht völlig durch. Man sieht ihn als 'vielversprechend', aber seine 'Erfolge' sind bescheiden. Die Oper 'Die Perlenfischer' (Paris, 1863) kommt nicht an und muss 30 Jahre lang auf Wiederaufführung in Paris warten, und das geschieht dann nur, weil 'Carmen' in der Zwischenzeit ein Welterfolg geworden ist. Erst im Laufe der letzten drei Monate seines Lebens wird Bizet berühmt: Am 3. März 1975 hat 'Carmen' im Pariser 'Opéra Comique-Theater' Premiere. Die Oper wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen: ein Teil des Publikums ärgert sich über 'die 'wagnerianische (?) Grobheit des Themas', die Unanständigkeit der Titelheldin' und den 'Bruch mit der wertvollen Tradition der Opéra Comique', aber ein anderer Teil findet die Oper grossartig. Diese Begeisterung wächst mit jeder Ausführung. 'Carmen' wird darum nicht (wie je 'Die Perlenfischer') vom Spielplan gestrichen, und wenn Bizet am 3. Juni 1875 stirbt, erlebt die Pariser Oper schon die 23. Aufführung. Viertausend Leute wohnen Bizets Beerdigung bei. Unter ihnen sind die - und das darf als überdeutliches Statement gelten - in der alten Tradition gross gewordenen Komponisten Charles Gounod und Ambroise Thomas. Sie u.a. tragen Georges Bizet zur letzten Ruhestätte.
Carmen eine Opéra comique?
In meinen Einführungen bei 'RS singt Adophe Adam/Daniël Auber' behandelte ich in grossen Zügen die Entwicklung von Opera seria, via Opera buffa, zur (französischen) Opéra comique, die durch gesprochene Dialoge gekennzeichnet wird, und eine Handlung hat, die sich vom Komischen zum Romantischen verschiebt. Bizet schreibt seine 'Carmen' mit gesprochenen Dialogen in der Tradition der Opéra comique, aber inhaltlich lenkt er in andere Bahnen ein. Die Geschichte von Carmen und dem ihr verfallenen Liebhaber Don José ist gar nicht komisch und keine romantische Flucht aus der Wirklichkeit, sondern gerade ein Sprung vorwärts IN die Wirklichkeit. Dieser 'Realismus' (ital.: 'Verismo') sollte 15 Jahre später als Modell für die Textbücher der vielleicht wohl bekanntesten, veristischen Opern 'Cavalleria Rusticana' (Pietro Mascagni 1890) und 'I Pagliacci' (Ruggiero Leoncavallo 1892) dienen.
Noch imselben Jahr der französischen Premiere erlebt 'Carmen' in einer deutschen Übersetzung von Julius Hopp die Erstaufführung in Wien. Hier jubeln die Opernliebhaber dem Werk ohne Vorbehalt zu, und damit beginnt ein Siegeszug, der nie mehr aufhören sollte. Die Neigung besteht, die internationale Viktoria, die in Wien anfing, der Tatsache zuzuschreiben, dass die gesprochenen Dialoge durch gesungene Rezitative ersetzt wurden. Ob das wirklich so ist, bleibt eine offene Frage. Jedenfalls machte die Oper wohl einen anderen Eindruck: die Rezitative hörten sich erhabener an, erinnerten sogar an die grossen, historischen Opern von damals. Möglicherweise überkam die Zuhörer - der Inhalt war ja sehr tragisch - ein 'Opera seria-artiges' Gefühl. Später entstand übrigens eine Strömung, die die gesprochenen Dialoge der Opéra comique wieder zu Ehren bringen wollte. Es ist ein besonderer Reiz, dass die zwei Gesamtaufnahmen mit Rudolf Schock eine gute Gelegenheit bieten, beide 'Carmen'-Fassungen miteinander zu vergleichen: die Aufnahme unter Eugen Jochum (1954) mit gesprochenen Dialogen und die unter Horst Stein (1961) mit gesungenen Rezitativen.
Der Komponist der gesungenen Rezitative: Ernest Guiraud (1837-1892)
Ernest Guiraud war mit Bizet befreundet, und er tat nach dessen Tode, was Bizet selber wahrscheinlich schon einige Zeit beabsichtigte. Das darf angenommen werden, weil Bizet fortwährend an den eigenen Kompositionen feilte. Manche Leute nennen so etwas Unsicherheit, andere Leute einen kräftigen Hang zur Perfektion. Guiraud schrieb für die Oper 'CARMEN' die Rezitative, die gesungen werden sollten, und er machte das fachgerecht. Die Verfechter der gesprochenen Dialoge sogar konnten es darum später nicht übers Herz bringen, aus dem stimmungsvollen Rezitativ bei Micaëlas Arie (3. Akt) wieder einen gesprochenen Monolog zu machen. Auch ergänzte Guiraud den ziemlich kurzen 4. und letzten Akt mit Ballett auf Bizets Musik aus der 'L'Arlésienne-Suite' und der Oper 'La jolie Fille de Perth'.
Ernest Guiraud dachte sich auch 'Bizet's AGNUS DEI' aus. Die Musik lieferte der erste Teil vom 'Intermezzo' aus Bizets 'L'Arlésienne' (1872). 'L'Arlésienne' diente dem gleichnamigen Schauspiel von Alphonse Daudet als musikalischer Kontext. Guiraud änderte das Arrangement und fügte der Musik den lateinischen Text hinzu. (Nennen wir hier auch schon Guirauds Leistung, Jacques Offenbachs 'Les Contes d'Hoffmann' instrumentiert zu haben. Damit erschloss er eine der genialsten und wirkungsvollsten Schöpfungen des Musiktheaters für die Opernbühne).
Über den Inhalt von 'Carmen'
Holzschnitt: Sammlung E.Leonhart, Dortmund
Henri Meilhac und Ludovic Halévy (nicht mit dem Komponisten Jacques François Halévy zu verwechseln!) schrieben das Libretto nach einer 'Carmen'-Novelle vom französischen Schriftsteller Prosper Mérimée (1803-1870). Die Geschichte fiel durch psychologische Gedankentiefe auf. Dazu zeigte sie einen Realismus, der viel Staub aufwirbelte. In der Novelle treten die Figuren des Toreadors Escamillo und des Bauernmädchens Micaëla nicht auf, im Textbuch von Meilhac & Halévy wohl.
Vier Personen stehen in der Oper zentral: Carmen, Don José, Micaëla und Escamillo. Carmen, das Mädchen aus der Zigarettenfabrik, könnte man betrachten als eine 'Theaterschwester' von 'Lulu'(siehe 'RS singt Alban Berg'). Sie übt eine sehr starke Anziehungskraft auf Männer aus und sündigt (unbewusst) gegen jede Form der vorherrschenden Moral. Nur die eigene Logik zählt und zwar die Logik der bedingungslosen Liebe, die aber per definitionem keine Logik duldet. Diese Liebe ist flüchtig und gefährlich. Carmen befindet sich zwischen zwei Männern: dem schmerzlich verliebten und unbedeutenden Sergeanten Don José und dem selbstsicheren und gefeierten Toréador Escamillo. Don José befindet sich seinerseits zwischen zwei Frauen: zwischen der ihm unbegreiflichen Carmen und der tapferen, unkomplizierten Micaëla, dem Mädchen vom Lande, das ebenfalls seine Heimat ist. Im letzten Akt tötet Escamillo in der Arena den Stier, und bringt Don José in 'seiner Arena' die 'Bestie' Carmen um.
Carmen: eine SPANISCHE Oper?
Sevilla, die Unheilsstätte, liegt in Spanien, und Stierkämpfe sind besonders ein spanisches Phänomen, aber Bizets Musik kann man kaum 'spanisch' nennen. Das Spanische ist nur Äusserlichkeit. Z. B. Carmens verführerische 'Habanera' beim Kastagnettenklang mutet zwar folkloristisch an, aber ist ein gelungenes Upgrading einer schlichten Salonweise vom Zeitgenossen Sebastian de Yradier, dessen 'La Paloma' - ohne Bizet - auch zum Evergreen wurde.
Die Stimmtypen von Carmen, Don José, Micaëla und Escamillo
Der niederländische Opernkenner Leo Riemens hat genau nachgeforscht, für welche Stimmlagen Bizet die Hauptpartien in 'Carmen' gemeint hat: Er schrieb die Carmen-Rolle für eine hohe Mezzosopranistin, die Don José-Rolle für einen typischen 'demi-caractère tenor', die Escamillo-Partie für einen 'basse-chantante' und die Partie der Micaëla für eine lyrische Sopranstimme. In der Theaterpraxis aber wurde und wird Carmen auch von echten Ältistinnen und echten Sopranistinnen gesungen, Escamillo auch von Heldenbaritonisten und don José von Heldentenören. Für Carmen ist es notwendig, dass die Sängerin sowohl eine sehr gute Höhe als Tiefe hat. Der 'demi-caractère tenor', der Don José singt, muss 'den Akzent des Heldentenors und die Lyrik eines leichten Tenors' (Riemens) kombinieren können. Rudolf Schock erläutert in seiner Biographie, er habe die Don José-Rolle immer gerne gesungen und gespielt. Nicht nur als Schauspieler fühlte er sich herausgefordert, sondern auch als Sänger, denn: '...diese Rolle erfordert eigentlich zwei Tenöre: einen lyrischen zu Beginn und einen heldischen zum Finale'. Rodney Milnes ('Opera on Record', Harper Colophon Books 1982) nennt als eins der Kennzeichen der Blumenarie das 'pianissimo b-Moll' (engl. b flat) am Ende der vorletzten Gesangzeile: 'Et j'étais une chose à toi!'/'Und ewig gehör' ich Dir an!!'. Milnes ist der Meinung, diese Zeile müsse zärtlich gesungen werden und nicht als 'furiose Beschuldigung', aber ergänzt, 'als Musikkritiker habe er dann bald ausgeredet, weil nur wenig Don José-Tenöre so etwas anstrebten oder dazu imstande waren'. Er tröstet sich mit dem Gedanken, 'dass für die Arie viel mehr Musikalität als dieser einzige Moment allein erwünscht sei'.
Rudolf Schock als Don José LIVE
Rudolf Schock trat als Don José zwischen Mai 1948 und Mai 1968 vielfach auf. Wiederholt sang und spielte er die Rolle an der Wiener (1952-1957) und der Hamburger Staatsoper (1948-1958). Weiter konnte man ihn als Don José in einer grossen Anzahl deutscher Städte, daneben in Österreich und Belgien bewundern. Seine Dirigenten waren u.a. Franz Konwitschny, Heinrich Hollreiser und Wolfgang Sawallisch, Carmens: Martha Mödl, Georgine von Milinkovic, Jean Madeira, Christa Ludwig, Kerstin Meyer und Grace Bumbry.
Ein Kritiker schreibt November 1956 anlässlich der Wiener Carmen-Premiere folgendes: Jean Madeira (Carmen) ist zuviel 'made in Hollywood', der 'Escamillo-Import' ein Fiasko, aber Rudolf Schock überzeugt 'in dieser schwierigen Tenorpartie'...' Besonders gut gelangen ihm die lyrischen Stellen....Die kluge Phrasierung wurde noch durch eine natürliche Darstellung unterstrichen'. Es fällt auf, dass in dieser Ausführung einige, kleinere Rollen ('in ausgezeichneter Weise') von Wiener Berühmtheiten wie Wilma Lipp (Frasquita), Erich Kunz (Dancairo) und Peter Klein (Remendado) gesungen werden.
Foto RELIEF CR 1908 |
Am 21. Dezember 1958 hat in Hamburg eine einzigartige 'Carmen' mit Rudolf Schock Premiere. Das Einzigartige daran war besonders die Tatsache, dass Wieland Wagner, Enkelsohn des Komponisten Richard Wagner, Regie führt.
WIELAND WAGNER und Rudolf Schock
Foto Peyer: K. Meyer/R. Schock
Die schwedische Sängerin Kerstin Meyer singt Carmen, Rudolf Schock Don José, Melitta Muszely Micaëla und der amerikanische Sänger Richard Collett Escamillo. In den Nebenrollen bekannte Namen wie: Gerhard Stolze, Kurt Marschner, Toni Blankenheim und Erna Maria Duske. Dirigent ist Wolfgang Sawallisch. Das Hamburger Abendblatt interviewt Wieland Wagner und bespricht die kommende Premiere. Die Zeitung betont, dass eine '... "heidnische Carmen" uns erwarte...', dass Wieland Wagner keine Angst habe, mit der Vergangenheit zu brechen, dass Spanien und Ballette gestrichen worden seien, und dass der Dekor abstrakter und eben dadurch vielsagender sein werde. Aus der Besprechung nach der Premiere stellt sich heraus, dass Wieland Wagner die älteste Carmen-Version mit den gesprochenen Dialogen gewählt hat. Der Kritiker urteilt, das Werk sei 'gut entstaubt worden', aber es mache in Wagners Regie-Auffassung doch wohl einen ziemlich 'eingedeutschten' Eindruck. Über den Dirigenten wird Gutes gesagt, aber für Bizet fehle es ihm ein wenig an 'Biegsamkeit, dem inneren Federn'. Kerstin Meyer ('eine Leistung von Format!'), Rudolf Schock ('Erfolg mit der Blumenarie' und 'grosse Akzente im Schlussakt') und Melitta Muszely ('keine Sentimentalität') bekommen gute Kritiken. Der Artikel endet mit der Schlussfolgerung: 'Die neue dramatische Arbeit, die Sängerleistungen, die szenische Wirkung und nicht zuletzt Bizets Musik: alles vereinte sich und führte zu rauschendem Premierenbeifall'.
Foto Peyer: v.l.n.r.
Wagner/Muszely/Schock
Wieland Wagner (1917-1966) hatte in den Jahren vor der Hamburger 'Carmen'-Regie mit seinen radikal erneuten Inszenierungen der Opern seines Grossvaters grosses Aufsehen erregt
('Neu-Bayreuth'): grossartige Lichteffekte traten an die Stelle der naturalistischen Dekors, Abstraktion verdrängte Konkretion, und Form wurde dem Inhalt untergeordnet.
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wagt sich Wieland Wagner nicht nur an Bizet, sondern auch an Opern von Christoff Willibald von Gluck und Ludwig van Beethoven heran.
Nach der Bizet-Premiere in Hamburg bietet Wieland Wagner Rudolf Schock die Rolle von Walther von Stolzing in Richard Wagners 'Meistersingern von Nürnberg' an. Schock akzeptiert - nach einigem Zögern, worauf ich in der Zukunft gewiss zurückkomme - das Angebot: Sommer 1959 wird er als Walther von Stolzing in (Neu-)Bayreuth auftreten.
Carmen-Aufnahmen mit Rudolf Schock
- 13.10.1946 (Live): 'Blumenarie', in Berlin aufgenommen. Dirigent Felix Lederer (Sonia CD 74503, Laserlight Classics 14765, Relief CD 1909)
In der Biographie sagt Schock, er sei während der Aufnahme 'blendend disponiert', und das ist hundertprozentig wahr. Ausserdem beweist Schock, dass er 1946 die Interpretation der Arie schon völlig beherrscht. Auffallend ist das Selbstbewusstsein des jungen Sängers (31 Jahre alt), womit er Carmen das emotionelle Erlebnis im Gefängnis erzählt. Alles stimmt an dieser (m.E. historischen) Darstellung. Nur das 'b-Moll' am Ende der vorletzten Zeile ist nicht 'pianissimo'. Aber Schocks 'Sturm und Drang' in diesem Moment benimmt dem Zuhörer buchstäblich den Atem!
- 23.6.1947 (Probe-Aufnahme): 'Blumenarie' , Adolf Stauch am Klavier (RELIEF CR 3001).
Schallplattenproduzent Electrola (später EMI, heute Warner) machte eine Testaufnahme (hatte man Schocks Rundfunk-Ausführung der 'Blumenarie' aus dem Jahre 1946 nicht gehört?), um festzustellen, ob Schocks Stimme sich für die Schallplatte eignete. Und das war so. Die Testpressung (eine 78-er Schellackplatte) bekam Schock als Souvenir geschenkt. Jahre später nach einem Einbruch in seine Berliner Wohnung wurde u.a. die alte Platte in Stücken wiedergefunden. Zum Glück hatte Schock rechtzeitig eine Tonbandaufnahme des Dokuments gemacht, wozu er eine Ansage machte. Blumenarie und Ansage kann man beide auf der eindrucksvollen Doppel-CD mit Schock finden, die Relief im Jahre 2005 veröffentlicht hat. Es ist eine Form der Gerechtigkeit, dass Adolf Stauch (1903-1981), der Rudolf Schock seit 1937 dezennienlang als Dirigent, Pianist und guter Freund der Familie begeleitete, bei diesem für 'seinen' Sänger so wichtigen Ereignis am Klavier sitzt und spielt. Schock singt die Arie vortrefflich, aber man spürt doch eine andere Spannung als bei der Rundfunk-Aufnahme ein Jahr früher. Der erste Teil der Arie klingt befangen. Im zweiten Teil wird diese Befangenheit relativ überkompensiert. Dadurch kommt mir Schocks Erzählung nicht ganz ausgewogen vor. Aber ist das nicht logisch? Ein Examen ist und bleibt eine spannungserregende Erfahrung.
- September/Oktober 1951: Studio-Aufnahme für den RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) Berlin. Ausschnitte aus 'Carmen' mit Margarete Klose (Carmen), Rudolf Schock (Don José), Elfriede Trötschel (Micaëla), Maria Reith (Frasquita), Pia Coursavé (Mercédès) und dem Dirigenten FERENC FRICSAY (Audite 95.497) (Siehe ganz oben!)
Die grosse Überraschung aus dem Jahre 2007! Eine Aufnahme, die selbst in der sehr sorgfältig zusammengestellten Diskographie von Rudolf Schock ungenannt blieb. Genauso wunderschön wie die wohl erwähnte Gesamtausführung der 'Rigoletto' von Guiseppe Verdi - auch unter Fricsay - mit Streich, Schock und Metternich! Die Tonaufnahmen sind hervorragend: Durch die verblüffende Transparenz würde man fast vergessen, dass es sich hier um Mono-Aufnahmen von vor knapp 60 Jahren handelt.
Der ungarisch-österreichische Dirigent Ferenc Fricsay (1914-1963) erreicht mit dem RIAS-Symphonie-Orchester eine 'Carmen'-Kurzfassung, die das Werk anders als üblich klingen lässt.
Im CD-Booklet von Audite (Text von Habakuk Traber) werden die Unterschiede detailliert ausgearbeitet: Bei Fricsay stehen die dramatischen Momente der Musik in extremem Kontrast zueinander: bald malt er das Geschehen nuanciert, aber zugleich distanziert aus, bald verstärkt er es gerade durch ein provozierendes Verzögern. Letztgenanntes passiert z.B. in der Blumenarie: Fricsay hält einfach Gesang und Orchesterspiel inne zwischen 'Dein ist mein Herz' und 'Und ewig gehör' ich Dir an!'. Eine kurze Weile gibt es vollkommene Stille, und dann bricht - explosiver noch als vor fünf Jahren unter Felix Lederer - Don Josés 'Sturm und Drang' hervor, der 'dem Hörer den Atem stocken lässt' (Benjamin Künzel - magazin.klassik.com/reviews). Nahtlos anschliessend erleidet der arme Hörer - in atemlosem Befinden also - Don Josés glühend gesungene Worte: 'Carmen, ich liebe dich' wobei das 'Iii' von 'liebe' endlos angehalten zu werden scheint.
Fricsay führt eine 70-minütige Bizet/Guiraud-Kurzfassung der Oper - ohne Escamillo! - aus. Das hat zur Folge, dass er einige gesungene Rezitative hören lässt und die (vollständige!) Ballettmusik spielt, womit Guiraud den 4. Akt ergänzte.
Margarete Klose (1902-1968) ist an und für sich keine ideale Carmen. Die Rolle gehörte aber wohl zu ihrem vokalen Rüstzeug. Im Jahre 1948 sang sie die Carmen in einer Rundfunkübertragung unter Hans Schmidt-Isserstedt (mit Schock als Don José), und 1953 war sie als Carmen auf der Wiener Bühne zu sehen und zu hören. Fricsay muss Margarete Klose bewusst für die Carmen-Rolle ausgewählt haben: Ihr dramatisch-dunkles Timbre gibt einen schönen Kontrast mit der klaren Sopranstimme von Elfriede Trötschel als Micaëla ab. Kloses Habanera ist kein Ausbund an Verführung, aber in der schaudererregenden Kartenszene aus dem 3. Akt ist die grosse Wagnerdarstellerin von imposantem Format. Sie erreicht dann das Niveau der grandiosen Christa Ludwig in der Horst Stein-Aufname aus dem Jahre 1961. Auch im Schlussduett (oder Schlussduell) mit Rudolf Schock überzeugt sie. Ich finde denn auch, dass Klose in den vielen - im übrigen sehr lobenden - Kritiken anlässlich dieser Carmen-Aufnahme zu oft als 'teutonisch' und 'wagnerianisch' 'beiseite gestellt' wird. Was das 'Wagnerianische' betrifft, ist sie übrigens in guter Gesellschaft, denn hatte man je so etwas auch nicht von Bizet gesagt?
Elfriede Trötschel (1913-1958) ist eine angenehm mädchenhafte Micaëla. Sie wagt sich vertrauensselig wie Alice in ein bedrohendes Wunderland hinaus. Der Zwiegesang mit Don José ist von Fricsay komprimiert worden, was dessen Schönheit gar nicht schadet.
Rudolf Schock ist sehr, wirklich sehr gut. Habakuk Traber im CD-Booklet: 'der gerade 36-jährige Rudolf Schock befand sich im Zenith seiner stimmlichen Entwicklung'. Er ist ein zugleich kräftiger und gefühlvoller Don José, 'lovely rendering in the Flower Aria' (Gary Lenco). Ekkehard Pluta (Fonoforum 2008) fragt sich, wo man heute noch so viel 'deklamatorische Deutlichkeit und solche Intimität' erlebt wie hier bei Rudolf Schock. Göran Forsling (Music Web-International): '...he has his phrases lovingly...deeply involved in de second act-confrontation with Carmen...powerly climaxes in the Flower Song and he ends it softly! (Forsling zielt auf die zärtlichen Worte 'Carmen, ich liebe dich', worin er Bizets Pianissimo-Wünsche von Rudolf Schock grossenteils verwirklicht achtet) ...moving in the final scene'. Letzten Endes Benjamin Künzel (Magazin.klassik.com): 'Rudolf Schock mit strahlendem Stimmklang und beneidenswerter Artikulation'.
- Febr. 1952/Apr. 1954/Oktober 1956/Mai 1958: Studio-Aufnahmen: Einzelne Fragmente, die vom Produzenten Fritz Ganss am Ende der fünfziger Jahre zu einem 54-minütigen Carmen-Querschnitt zusammengefügt wurden. Mit Sieglinde Wagner (Carmen), Rudolf Schock (Don José), Anny Schlemm (Micaëla), Josef Metternich (Escamillo), Lisa Otto (Frasquita), Rosl Schaffrian (Mercédès) und den Dirigenten ARTUR ROTHER und WILHELM SCHÜCHTER (Emi-Classics 7243 8 264342 5)
Diese Carmen-Ausschnitte gab es am Ende der Fünfziger auf LP und wurden im Jahre 2000 auf CD herausgebracht. Im Jahre 1952 dirigiert Artur Rother (1885-1972) Schocks Blumenarie und die vollständige Version des Duetts Don José-Micaëla mit Schock und Schlemm.
Wilhelm Schüchter (1911-1974), in den fünfziger und sechziger Jahren in Rundfunksendungen und für den Produzenten Fritz Ganss (Electrola und Eurodisc) aktiv als Dirigent vieler Opern- und Operettenaufnahmen mit Rudolf Schock, nimmt die 1954-Aufnahmen der Sänger, die 1956-Aufnahmen mit den vier orchestralen Vorspielen und die 1958-Aufnahme der Micaëla-Arie auf sein Konto.
Die warme Altstimme von Sieglinde Wagner (1921-2003) ist eine Wohltat für das Ohr, aber sie profiliert die Zigeunerin Carmen kaum (Habanera und Kartenterzett). Im Schlussduett mit dem wieder idealen Don José von Rudolf Schock macht sie das auf einmal wohl.
Wahrscheinlich ist ein Teil dieses Duetts auch in Schocks 'italienischen' Film 'Die Stimme der Sehnsucht' (1956) eingefügt worden.
Schocks Arie 'Hier an dem Herzen treu geborgen' entfaltet sich anfangs wie eine prachtvolle Blume: prominent vor dem Aufnahme-Mikrophon. Allmählich aber, wenn er von Emotion überwältigt wird, vergrössern die Aufnametechniker den Abstand zwischen Stimme und Mikrophon, wodurch der leidenschaftliche Aufbau zum begehrten 'b-Moll' (die an sich tadellos gesungen wird) abgeschwächt wird. Schock kann nichts dafür, aber zum stockenden Atem am Ende der Arie kommt es - bei mir - nicht ganz.
Josef Metternich (1915-2005) singt mit dem von ihm vertrauten vokalen Feuerwerk in einer von Schüchter hinreissend dirigierten Toréador-Szene einen Macho-Escamillo. Treffend ist der darstellerische Unterschied mit 'basse chantante' Hermann Prey in der Horst Stein-Aufnahme (1961).
Anny Schlemm (1929) als Micaëla klingt 1958 in der grossen Arie mit Rezitativ kräftig und macht keinen ängstlichen Eindruck. Der vokale Kontrast mit Sieglinde Wagner fällt dadurch nicht so glücklich aus. Im Duett mit Schock (1952) singt Schlemm wärmer, und man hört, dass sie damals sechs Jahre jünger war.
- Oktober 1954: Gesamtausführung im Bayrischen Rundfunk München mit Georgine von Milinkovic (Carmen), Rudolf Schock (Don José), Elisabeth Grümmer (Micaëla), James Pease (Escamillo), Hanna Scholl (Frasquita), Ina Gerheim (Mercédès), Max Proebstl (Zuniga), Karl Hoppe (Moralès), Heinz Maria Linz (Dancairo), Karl Ostertag (Remendado) und dem Dirigenten EUGEN JOCHUM (Relief CR 1908 und - mit wenig Information - Walhall)
Rudolf Schocks 'Blumenarie' Oktober 1954
Hier erleben wir Bizets ursprüngliche Opéra comique-Version (!), also ohne Guirauds spätere Veränderungen (mit Ausnahme von Micaëla Rezitativ im 3. Akt). Die perfekte (Mono)-Aufnahme ist erst vom Anfang des 21. Jhts an auf dem Markt und hat leider (noch?) nicht den Status einer 'historic performance'. Aber sie verdient ihn wohl. Wir hören jetzt die gesprochenen Dialoge 'im Geiste von Bizets ursprünglichen Vorsätzen' (John Leeman - Music Web-International). Sie werden - und das war 1954 noch eine Rarität - von den Sängern selbst gesprochen, und die machen das ausgezeichnet (Schock!).
EUGEN JOCHUM (1902-1987) dirigiert das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks München, das er selber - zusammen met dem niederländischen Dirigenten Bernhard Haitink - 1949 gegründet hatte. Später sollte er in den Niederlanden noch viele Male das 'Concertgebouw'-Orchester Amsterdam dirigieren. Die Städte, wo er weiter seinen Ruhm als Bruckner-, Wagner- und Mozartdirigent etablierte, aber auch neuzeitlichere Komponisten wie Blacher, von Einem und Hartmann spielte, waren vor allen Berlin und München. Sein Image als namhafter Dirigent wurde jedoch manchmal durch das Bild benachteiligt, er sei zwar ein solider, musikalischer Fachmann, aber in musikalisch-dynamischer Hinsicht ziemlich 'teilnahmslos'. Ein Pultstar wie z.B. Herbert von Karajan erregte die Phantasie effektiver. Allein schon aus der Art und Weise, wie diese beiden Dirigenten fotographiert worden sind, geht der Unterschied überdeutlich hervor. In dieser 'Carmen'-Aufnahme aber ist von Teilnahmslosigkeit nichts zu merken. Die Oper klingt turbulent. Zum Beispiel das Zigeunerlied zu Anfang des 2. Aktes vollzieht sich in heissblütigem, aufpeitschendem Tempo (heftiger noch als in der Stereo-Aufnahme unter Horst Stein, was einiges sagen will!) und das Finale ist mit Carmen, Don José und dem Dirigenten eine tickende und dann explodierende Zeitbombe! Ich zitiere noch einmal John Leeman: 'It sizzle's!....crisply rhythmic in the dance-related music...beauty in the playing.....Carmen-connesseurs may wish to have it!'.
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Georgine von Milinkovic (1913-1986) zeigt sich eine äusserst erfahrene Carmen-Sängerin.
Allein schon in der Wiener Staatsoper sang sie zwischen 1948 und 1954 die Rolle 36-mal (1952 mit Rudolf Schock). Ihre sängerische Palette ist reich und ihre Emotionen direkt und ehrlich.
Elisabeth Grümmer (1911-1986) braucht kaum vorgestellt zu werden: die silberne, edle Sopranstimme ist - wie zu erwarten war - auch in der Micaëla-Rolle in bestechender Form, aber doch bleibt ab und zu (nicht dauernd also) ihre 'Micaëla vom Lande' mir zu fern. Die Darstellung ist dann eher die aus dem Konzertsaal als die aus der Opernhandlung. Selbstverständlich war Elisabeth Grümmer eine begnadete Opernsängerin ('Meistersinger', 'Freischütz' und in Mozartopern), aber für die Micaëla-Figur fehlt ihr ein wenig die jugendliche Unbefangenheit.
Noch einmal ist Rudolf Schock in jeder Hinsicht ein bewundernswerter Don José. Ich greife zwei Fragmente heraus: Im Finale des 3. (vorletzten) Aktes sind er und jetzt auch Grümmer darstellerisch sondergleichen, und in der Blumenarie entfaltet Schock jetzt überraschendeweise genau, was Bizet sich gewünscht haben muss: den Anlauf zum und Verwirklichung vom 'pianissimo b-Moll' in 'Und ewig gehör' ich Dir an!'. Nun höre ich einige Leser im voraus sagen: 'Ja, das macht Schock mit 'Falsettstimme', was ich dann vor allem als eine negative Qualifizierung auffassen soll. Dagegen lässt sich folgendes sagen: Es ist gewiss so, Schock benutzte - neben seiner sehr schönen 'mezza voce' (halber Bruststimme), die ihn in die Nähe eines Benjamino Gigli bringt (Vgl. ihre Darstellungen des Liedes 'Caro mio ben' und Schocks Tenorpartie im grossen Duett aus Mascagnis Oper 'L'Amico Fritz') - regelmässig auch seine 'Falsettstimme' (Kopf- statt Bruststimme). Aber das Falsettsingen hat immer schon - also auch 'Im Zenith seiner stimmlichen Entwicklung' - zur Schocks Ausdruckskunst gehört. Leo Riemens lobte Rudolf Schock je wegen seiner Schlussnote in 'Celeste Aida', der bekannten Radames-Arie aus Verdis Oper. Diese Note sollte nach Vorschrift von Verdi pianissimo gesungen werden. Rudolf Schock singt in einer frühen Emi-Aufnahme diese Note Falsett und damit in ein und demselben Atem pianissimo, und der kritische Riemens erschöpfte sich in Lobpreisungen in bezug auf 'den gewissenhaften Sänger'. Enrico Caruso tat 1904 übrigens dasselbe: In jenem Jahr erschien eine Aufnahme von 'Celeste Aida' mit einer falsettierten Schlussnote.
Ank Reinders, eine bekannte niederländische Gesangspädagogin, weist in einer Studie auf den mannigfachen Gebrauch von Falsett als anerkanntem Gesangsinstrument in der Vergangenheit hin und stellt fest, es sei im Laufe der 2. Hälfte des 20. Jhts mit der Falsettstimme allmählich abwärtsgegangen. Aber ist das eigentlich so? Wir sehen gerade dann den spektakulären Aufstieg der Countertenöre, für die das Falsettsingen eben Corebusiness ist.
James Pease (Foto RELIEF CR 1908) |
Schliesslich über den Escamillo der Aufnahme, worin der amerikanische Bariton James Pease (1916-1967) zu hören ist (Mehr über Pease lesen Sie unter dem Label 'RS singt Daniël Auber'). Der Escamillo von James Pease hält so ungefähr die Mitte zwischen der Muskelbündel-Interpretation von Josef Metternich (1954) und dem eleganten Gentleman von Hermann Prey (1961). Pease singt gut, aber seine Charakterisierung des Stierkämpfers bleibt wohl hinter den Leistungen von Metternich und Prey zurück.
- Sept. 1961: Studio-Aufname einer EMI-Gesamtausführung von 'Carmen' mit Christa Ludwig (Carmen), Rudolf Schock (Don José), Melitta Muszely (Micaëla), Hermann Prey (Escamillo), Ursula Schirrmacher (Frasquita), Ursula Gust (Mercédès), Iwan Rebroff (Zuniga), Georg Völker (Moralès), Leopold Clam (Dancairo), Karl-Ernst Mercker (Remendado) und dem Dirigenten HORST STEIN (Emi/Warner CMS 25 2903 2)
Und jetzt ist Guirauds Version mit den gesungenen Rezitativen dran. Aber Schocks fester Produzent Fritz Ganss liess die Ballette weg, so dass für jene Musik auf Fricsay zurückgegriffen werden muss. Die Aufnahme ist in 'full stereo' und als solche ein Tonerlebnis, was mir die Gelegenheit gibt, mit Anerkennung den Namen von Sound-engineer Horst Lindner zu nennen, der sehr viele Jahre zahlreiche Aufnahmen mit u.a. Rudolf Schock und Herbert von Karajan auf vortreffliche Weise realisierte.
Die Horst Stein-Aufnahme ist seit ihrer Veröffentlichung vor fast einem halben Jahrhundert immer im EMI-Katalog geblieben. Seit 2009 war sie einige Jahre daraus verschwunden, aber ab März 2013 war sie wieder zu haben.
Christa Ludwig wies vor einigen Jahren in einem Interview schon darauf: 'Diese deutschsprachige 'Carmen' weiss sich schon sehr lange zwischen den französischen 'Carmens' zu behaupten, weil es weltweit dauernd Nachfrage nach ihr gibt'. Doch lachte man mich in Rotterdam aus, als ich mich im Laufe der 60er Jahre beim Personal eines prominenten Schallplattengeschäfts nach dem Vorhandensein der Aufnahme erkundigte. Nach dem Auslachen trat eine gewisse Strenge hervor: "So eine Schallplatte mit Christa Ludwig als Carmen, Hermann Prey als Escamillo und Rudolf Schock als Don José gibt es gar nicht!".
Etwas später las ich in einem niederländischen Musikmagazin, das Finale mit Ludwig und Schock sei auf EMI-LP mit berühmten Opernduetten zu hören. Kritiker Klaas A. Postuma zeigte sich seelenvergnügt mit dieser 'seltenen' Aufnahme und schrieb, dass sowohl Ludwig als Schock 'grossartig' waren. Er hoffte, dass die dazugehörige Gesamtaufnahme nun bald auch in den Niederlanden erscheinen würde. In Deutschland kamen danach noch zwei LP-Neupressungen aus (Ich kaufte sie beim ehemaligen Schallplatten-Megageschäft 'Saturn' in Köln!). Im Jahre 1991 erschien die CD-Kassette.
HORST STEIN (1928-2008) wird schon im 23-jährigen Alter (1951) zum musikalischen Leiter der Hamburger Staatsoper ernannt. Ein Jahr später assistiert er in Bayreuth renommierte Dirigenten wie Clemens Krauss, Josef Keilberth, Hans Knappertsbusch und Herbert von Karajan. Wieland Wagners Bruder Wolfgang ist von Stein beeindruckt und bietet ihm die Chance, in Bayreuth eine grosse Anzahl Wagneropern zu dirigieren. Danach ist Horst Stein als Dirigent über die ganze Welt aktiv. Stein war (er starb vor kurzem) kein Showdirigent. Musikkritiker Peter T. Körner nennt in 'Fonoforum' Stein einen 'individuellen Orchestererzieher, der seinen Beruf auf zuverlässige Weise beherrscht und ausübt, sorgfältig mit dem Notentext umgeht, stilsicher ist und auf selbstgefällige Extravaganzen verzichtet'. Das sind 'die klassischen Tugenden' des 'unauffällig-souveränen Kapellmeisters, dessen Typus immer seltener geworden ist'.
Ich glaube, Ferenc Fricsay wäre überglücklich gewesen, wenn er die vier Solisten, die unter Horst Stein die Hauptrollen singen, für eine 'Carmen'-Gesamtausführung hätte engagieren können. Die Kontraste zwischen ihnen sind ideal.
Zuerst will ich wohl darauf aufmerksam machen, dass Rudolf Schock im Jahre 1961 nicht mehr völlig über die vokalen Möglichkeiten der fünfziger Jahre verfügt. Die Stimmführung ist nicht mehr so flexibel wie z. B. unter Eugen Jochum, und für die Spitzentöne muss er merkbar Kraft entwickeln.
Die Folge ist jedoch, dass er jetzt als älterer, reiferer Sergeant anmutet. Den früheren 'Sturm und Drang' gibt es nicht mehr ganz, aber stattdessen ruft Schock mit seiner Lyrik der Wehmut (z.B. in einer fast feierlichen Blumenarie und dem nostalgischen Duett mit Micaëla) beim Hörer doch große Gefühle tiefer Sympathie wach. Er passt jetzt eigentlich vollkommen zu Micaëla, die von Melitta Muszely (1927) besinnlich und herzerfreuend gesungen wird. Muszelys Stimme atmet inniges Verlangen nach einer sicheren Welt, die für Don José verloren zu gehen droht. Don José unterwirft sich wissentlich ('der Hexe!') Carmen und ihren zweifelhaften Gefährten, die ihm seinen Disziplin und poetische Naivität rauben. Rudolf Schock imponiert als dieser andere tragische Don José genauso wie in seinen früheren, jugendlicheren Darstellungen. Carmen spielt mit einem machtlosen Don José, der aussichtslos seine Liebe zeigt. Noch zu Beginn des Finales fleht er Carmen an, ihn zu lieben (Schock ist im Gesang drängend lyrisch), am Ende schleudert er ihr Wut und Verzweiflung ins Gesicht (Schock ist im Gesang veristisch), wonach er sie nicht mehr bei Sinnen tötet. Dem Don José gegenüber steht ein grell kontrastierender Escamillo von Hermann Prey (1929-1998): Don José ist ein naiver Dorfbewohner, Escamillo stammt aus der Großstadt. Er ist elegant, ein 'Womanizer' mit sinnlich-süsser Stimme, und immens populär. Das Lied des Toréadors klingt sogar teilweise 'piano'. Das Duettchen mit Ludwig wird im Taumel des Entzückens gesungen.
Und dann Christa Ludwig (1928-2021). Im Jahre 1956 singt sie zum ersten Mal die Carmenrolle auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Sie stellt die Rolle weiter dar bis in die siebziger Jahre (Januar 1957 mit Schock). Ein Kritiker lässt sich 1956 von ihrer Carmen völlig einfangen, obschon er darüber im klaren ist, dass 'sie etwas zu viel dabei überlegt und die Partie von der intellektuellen Seite auffasst'. 'Ihre Phrasierung...ist hervorragend. Allerdings sollte sie mit ihren Einlagen an exponierten Höhen etwas sparsamer umgehen, denn manche der Spitzentöne klangen etwas flach'. Alles in allem genommen hinterliessen sie und die Gesamtausführung beim Kritiker 'einen durchaus positiven Eindruck'.
In der Schallplattenaufnahme findet Christa Ludwig genau die Mitte zwischen Kopf und Herzen. Sie IST Carmen und trägt eine vollendete Gesangstechnik zur Schau. Jedes Wörtchen, jede Silbe ist perfekt verständlich, und sie macht alles damit, was sie stimmlich und interpretativ zum Ausdruck bringen will. Christa Ludwig ist solch eine Sängerin, deren es in einem Jahrhundert nur wenige gibt. Ihr zuzuhören ist eine reine Freude, und man kommt wiederholt aus dem bewundernden Staunen nicht heraus.
Auch die Sänger der kleineren Rollen sind in Hochform. Iwan Rebroff (1931-2008) ist eine angenehme Überraschung. Er zeichnet mit spielender Leichtigkeit den gutherzigen Militär Zuniga, würzt die Stimme mit Humor und Charme (Bitte, vergleichen Sie Rebroff mit dem braven Max Proebstl unter Eugen Jochum!).
Ich betrachte Iwan Rebroffs einzige, kleine Opernrolle als einen Ehrenerweis für den (merkwürdigen) Theatermenschen Iwan Rebroff, der mich irgendwann in den Sechzigern in Paris im Hotelrundfunk begeisterte als Tevje im Musical 'Fiddler on the Roof (Anatevka)'.
Multi-Talente Ursula Schirrmacher (1925) und Karl-Ernst Mercker (1933) , denen ich unter 'RS singt Adolphe Adam' schon lobende Worte widmete, sind wieder Sonderklasse. Die unheilverkündende Weise, worauf Ursula Schirrmacher Carmen zweimal vor Don José warnt ('O, hüte dich!') rührt mich bis auf den heutigen Tag.
Ein letztes Kompliment richte ich an die Schöneberger Sängerknaben aus dem Jahre 1961. Der Strassenjungenchor zu Anfang des 1. Aktes, der die Soldaten imitiert, ist eine Glanznummer. Der Jungenchor singt heiter und lebensecht drauflos, und das gehört sich in dieser Strassenszene auch so ('Verismo'!).
- Oktober 1968: ZWEI Studio-Aufnamen der Blumenarie aus 'Carmen' mit dem Dirigenten Wilhelm Schüchter (Eurodisc LPs 78571 IU und 79785 KR)
Im Jahre 1968 sang Rudolf Schock Don José als Gast noch in Antwerpen (am 26. März) und in Graz (am 23. Mai). Im Herbst desselben Jahres nahm er im Schallplattenstudio zum letzten Mal 'Hier an dem Herzen treu geborgen' und zum ersten Mal 'La fleur, que tu m'avais jetée' auf. Die deutsche Version erschien auf der LP 'Rudolf Schock singt Arien aus französischen Opern' (Bizet, J. Halévy, Thomas, Massenet, Maillart u.a.) und die französische auf der LP 'Erinnerungen an Benjamino Gigli' (Bizet, Massenet, Puccini, Ponchielli, Ciléa, Verdi u.a.). Beide Aufnahmen der Blumenarie sind würdige Erinnerungen an Rudolf Schocks Glanzrolle als Don José.
Die exotischen 'Perlenfischer' sind immer in 'Carmens' Schatten geblieben. Die Oper, die sich auf der Insel Ceylon abspielt. wurde in Italien am meisten geschätzt und aufgeführt.
Erst 1930 bekam das Freundschaftsduett Nadir-Zurga aus dem 1. Akt ('Au fond du temple saint') 'Opernschlager'-Status. Die träumerische Tenor-Romanze 'Je crois entendre encore', worin Nadir über den abgelegten Eid der Freundschaft mit Zurga nachdenkt, den er für eine von ihm (und Zurga!) geliebten Frau gebrochen hat, blieb letzten Endes gleichfalls bekannt.
- Dezember 1957: Studio-Aufnahme des Freundschafts-Duett Nadir-Zurga 'Au fond du temple saint'/'Der Tempel Brahmas strahlt') aus 'Les Pêcheurs de Perles' mit Rudolf Schock (Nadir), Josef Metternich (Zurga) und dem Dirigenten Wilhelm Schüchter (Emi-CD: CDM 7 69474 2, Membran-CD-Box 232541 und auf YouTube)
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Rudolf Schock und Josef Metternich sangen auf der Bühne und (noch mehr) im Aufnahmestudio oft einanders Feind. In privaten Umständen waren sie sehr gute Freunde. Zusammen waren sie zu sehen und/oder zu hören in Fidelio, Hoffmanns Erzählungen, Rigoletto, Don Carlos, La Forza del Destino, La Traviata, Il Trovatore, Aida, Otello, I Pagliacci, Cavalleria Rusticana, Lucia di Lammermoor, Tosca, Das Rheingold, Lohengrin und den Bizetopern: Carmen und Perlenfischer.
Das Duett aus den 'Perlenfischern' vom 1. Dezember 1957 bekommt in dieser Darstellung Verdi-artige Dimensionen. Schüchter, Schock und Metternich meiden jede Sentimentalität. Der Eid bleibender Freundschaft auf Gedeih und Verderb zwischen den beiden Männern wird leidenschaftlich aufs neue bekräftigt. Selbstvertrauen und Optimismus bestimmen ihren weiteren Lebensweg. In diesem Geiste wird dirigiert und gesungen: das Tempo ist kräftig, der Ausdruck drastisch, und der Hörer beeindruckt.
Wahrscheinlich ist dieses Duett die erste Schock-Metternich-Stereoaufnahme. Anfangs kam es mono zusammen mit dem Duett aus 'Otello' auf einer kleinen Electrola-45-er Schallplatte vor und dann auf einer Electrola-25cm-LP mit den beiden Sängern unter Schüchter in Duetten von Verdi und (einmal) Bizet.
Im Laufe der Siebziger brachte Emi eine 3LP-Box mit dem Duet in stereo unter dem Titel 'Grosse Operngala' (137 EX 7 49449 1) aus. Im Jahre 1988 erschienen die Stereo-Perlenfischer auf CD ('Rudolf Schock-Opernarien'). Der erste Teil des Rezitativs fehlt aber, wodurch das ganze Duett zwei Minuten kürzer dauert. Im Jahre 2008 veröffentlichte Membran Music Ltd eine Rudolf Schock-10CD-Box, worin dieselbe gekürzte Version auftauchte.
März 1957 und Oktober 1968: ZWEI Studio-Aufnahmen von Nadirs Arie 'Je croix entendre encore'/'Hör' ich die Stimme im Traum') uit 'Les Pêcheurs de Perles' mit Rudolf Schock (Nadir) und dem dirigenten Wilhelm Schüchter (Aufnahme 1957 auf CD: Emi /Warner CZS 7 67183 2 und die 1968-Aufnahme auf LP: 79 785 KR)
Schock singt 1957 das Rezitativ der Arie, das auf die Erinnerung an die feierliche Freundschafts-Erklärung und den von ihm (Nadir) verursachten Eidbruch zurückgreift, mit genauer Aufmerksamkeit in bezug auf textuelle und musikalische Einzelheiten. Darauf folgt die lyrische Romanze, die Schock schmelzend singt. Er benutzt dabei gekonnt die Kopfstimme.
Elf Jahre später ist nicht zu überhören, dass Schocks Lyrik nicht mehr so unbehindert strömt wie im Jahre 1957. Dennoch zwingt seine 'Erzählung' nach wie vor Respekt ab. Nach meinem Geschmack ist Wilhelm Schüchters Tempo dieses Mal ziemlich schnell.
- Januar 1963 (LIVE) in München aufgenommen: Rezitativ und Arie 'Hör'ich die Stimme im Traum' aus 'Les Pêcheurs de Perles' mit Rudolf Schock (Nadir) und dem Dirigenten Horst Stein (Rundfunkaufnahme von 1996 zum 10. Todestag von Rudolf Schock. 2008 wurde das integrale Konzert vom Bayrischen Rundfunk wiederholt.)
Rudolf Schock bekam 1963 die Gelegenheit, die Romanze träumerischer anzugehen als in den beiden Studioversionen. Er gebraucht die 'halbe Stimme (mezza voce') und erst am Arienschluss die 'Kopfstimme'. Von den drei Versionen scheint mir diese kontemplative Darstellung, sowohl was die orchestrale als die gesangliche Auffassung betrifft, der Atmosphäre dieser Oper am besten angemessen zu sein.
Das 'Agnus Dei' von Bizet/Guiraud
- 1955, 1973, 1986: zwei Studio-Aufnahmen und eine LIVE-Aufnahme des 'Agnus Dei' von Bizet/Guiraud (alle mit Chor)
'Welch eine Stimme!' rief der Vater eines Freundes mal aus, als er zufälligerweise Schocks 'heldisches' 'Agnus Dei' hörte. In der Tat ist die Mono-Aufnahme aus dem Jahre 1955 überwältigend zu nennen (Emi CD: CDZ 7 62696 2 unter dem Titel 'Ave Maria' mit verschiedenen Solisten in verschiedenen, mehr oder weniger religiös gefärbten Liedern). Neben Rudolf Schock hört man den schön singenden Bielefelder Kinderchor und die NWD-Philharmonie unter Wilhelm Schüchter.
Die Stereo-Fassung aus dem Jahre 1973 unter Fried Walter mit dem prachtvoll singenden Tölzer Knabenchor beeindrucht auch. Der Chor (siehe auch den 2. Teil von 'RS singt Beethoven') und der Tenor sind schön miteinander im Gleichgewicht und die Ausführung scheint mir übereinstimmend mit Ernest Guirauds religiöser Intention zu sein (Eurodisc-LP 86863 KK):
'Agnus Dei' 1973
Die dritte Version befindet sich auf einem Tape, das Verehrer von Schocks allerletztem Konzert machte. Das Konzert mit Chor und Orchester fand in/bei Düren am 9. November 1986 statt, drei Tage vor Rudolf Schocks Tode. Es öffnet mit dem 'Agnus Dei' von Bizet/Guiraud, und Rudolf Schock sang mit Leib und Seele. Die Aufnahme ist ergreifend, und betrachte ich - mit Dank an dem mir unbekannten Macher - als ein kostbares Dokument.
Krijn de Lege, April 2009 / Januar 2022 / 27-7-2024
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