EUGEN D'ALBERT (1864 - 1932)
wird in Schottland aus einer englischen Mutter und einem französisch/italienischen Vater geboren. Klavierunterricht bekommt er von keinem Geringeren als Franz Liszt und Kompositionslehre von Arthur Sullivan (1842-1900), der zusammen mit Textdichter William Gilbert als Komponist von englischen Operetten wie 'The Mikado', 'Patience', 'The Gondoliers', 'H.M.S. Pinafore' und dem Lied 'Onward Christian Soldiers' berühmt wurde.
Es fällt auf, dass Sullivan seinen Schüler Eugène d'Albert schon im 17jährigen Alter einladet, eine seiner 'Musical-Comedies' für Klavier umzuarbeiten und umgekehrt die Ouvertüre zu seiner 'Patience' (Lieblingsoperette von Königin Victoria!) für Orchester spielbereit zu machen. Es ist nur, dass Sie Bescheid wissen, wenn Sie sich diese Sullivan-Ouvertüre auf CD/DVD anhören oder ansehen!
Eugène d'Albert wird als Konzertpianist (Beethoven-Spezialist!) weltberühmt. Später bevorzugt er aber die Aktivitäten als Komponist. Auch lässt er sich zum Deutschen naturalisieren und ändert er den Vornamen in Eugen.
Er verfasst etwa 20 Opern, wovon 'TIEFLAND' bis auf den heutigen Tag wacker Repertoire gehalten hat. Von den anderen Theaterarbeiten kommen vereinzelt nur 'Die toten Augen' und der Einakter 'Die Abreise' noch zur Live-Ausführung und/oder CD-Aufnahme.
'TIEFLAND' (1903)
ist eigentlich das einzige, wichtige, musikalische Werk des deutschen Verismus ('Realismus'), der um 1900 in Deutschland namentlich literarische Prosa dominiert.
Wie ich bei Adolphe Adam schon knapp angegeben habe, beschäftigt sich der Verismus (it.: 'verismo') mit Menschen in der gleichgültigen Realität des Lebens. Es handelt sich um eine vielfach unbarmherzige Wirklichkeit, der ein Mensch mit Haut und Haaren ausgeliefert ist. Noch nicht mit als verständlich nächstem Schritt der sozialen Revolte, die 'das grosse Glück für alle' näher bringen sollte. Im 'poetischen Realismus' (das hinzugefügte Adjektiv könnte als spätes Echo deutscher Romantik betrachtet werden) genügt aber so etwas wie kleines Glück, das manchmal in irgeneinem Winkel erreichbar wäre.
Bizets 'Carmen' aus 1875 ('Reality' in der Zigarettenfabrik, der Armee, der Arena und inmitten der Schmuggler) wird schon von dieser Strömung beeinflusst. Später sind in Italien 'Cavalleria Rusticana' (sich auf dem sizilianischen Lande abspielend) und 'I Pagliacci' (Freude, aber vor allem Leid einer herumziehenden Komödiantengruppe) für das wirkliche Leben exemplarisch. Danach trifft das ebenfalls auf die Opern von Puccini, Giordano und Ciléa zu, und in Deutschland ist also 'Tiefland' der würdige Repräsentant:
Auf der spanischen Seite der pyrenäischen Berge (die Opernhandlung stützt sich auf einem spanischen Theaterspiel) wohnt das Glück der Hirten Petro und Nando mit ihren Schafen. Im tief gelegenen Tal (im 'Tiefland') wohnt das Unglück von Marta, die von 13jährigem Alter an vom Grossgrundbesitzer Sebastiano missbraucht worden ist.
Sebastiano hat ernsthaft-finanzielle Probleme. Es fällt ihm aber die einmalige Gelegenheit in den Schoss, eine reiche Frau heiraten zu können. Weil er Marta nicht loswerden will, kommt er auf den kreativen Gedanken, sie in einer leerstehenden Mühle zu parken, zusammen mit dem naiven Pedro. Er arrangiert dazu sogar in grösster Eile eine Eheschliessung zwischen beiden. Im Mittelpunkt der Oper steht dann die Liebesnacht, worin Pedro von Marta in ein Nebenzimmer geschickt wird, und Sebastiano seine geplante Aufwartung macht. Die Oper endet optimistisch. Sebastian wird von Pedro ausgeschaltet und Marta (die inzwischen Pedro innig liebt) lässt das Tiefland endgültig hinter sich, und zieht mit Pedro in die glückliche Einsamkeit des Hochgebirges hinein.
Was dem Image dieser Oper viel Schaden zugefügt hat (und noch immer zufügt) ist die Tatsache, dass sie als "Lieblingsoper von Adolf Hitler" bekannt ist. (Bemerkenswert ist wohl, dass ich einst auch gelesen habe, 'Lohengrin' sei Hitlers "Lieblingsoper", und 'Die lustige Witwe' seine "Lieblingsoperette"). Die Folge ist, dass 'Tiefland' als "musikalischer Favorit Hitlers" deklassiert worden ist. Die Tonart, die über diese Musik angeschlagen wird, ist nicht selten geringschätzig. Es scheint, die Oper habe durch Hitlers Anerkennung auf einmal musikalisch kaum noch etwas zu bedeuten. Im Internet las ich z.B. einen Beitrag aus dem Jahre 2007 von jemandem, der anlässlich einer neuen 'Tiefland'-Premiere an der Wiener Volksoper erböst schreibt, er habe 'kein einziges Bedürfnis nach diesem Blut- und Bodenkram auf nationalsozialistischer Grundlage'.
Dazu kommt noch, dass die talentierte, aber in und nach dem Zweiten Weltkrieg moralisch umstrittene deutsche Cineastin Leni Riefenstahl einen Film machte, der auf der Tiefland-Oper fusst. Die ersten Aufnahmen wurden 1934 in Spanien gedreht, worauf sich das Projekt während zwei Dezennien hinschleppte. Riefenstahl durfte 1941 Zigeuner aus dem Gefangenenlager Maxglanals als 'Bewohner des Tieflands' einsetzen, aber nach dem Krieg hielt man für sehr wahrscheinlich, dass ein Teil dieser Figuranten kurz nach den Filmaufnahmen nach Auschwitz transportiert wurden. Ein Prozess darüber im Jahre 1949 ging für Leni Riefenstahl formell positiv aus, aber in der viel grösseren Einfluss habenden, informellen Szene wurde sie für immer als 'gefallener Engel' gesehen. Das war denn auch der Titel einer niederländischen Riefenstahl-Monographie aus dem Jahre 2000, in der Filmpublizist Thomas Leeflang "Leben und Werk von Leni Riefenstahl" bespricht, und auf Seite 132 bemerkt, Riefenstahl zeige immer schon Interesse an "jener dämmrigen Oper von Eugen d'Albert".
1954 hatte der 'Tiefland'-Film endlich Premiere, und - was erwartet werden konnte - er wurde von der Kritik zerrissen.
Zurück zu 'jener dämmrigen Oper' aus dem Jahre 1903:
Musikalisch und dramaturgisch ist 'Tiefland' ein vollkommen klares und hinreissendes Werk, das viele, dramatisch äusserst effektive Szenen aufweist. Hören Sie sich mal folgendes an:
Die 'Trauermusik' beim unheilverkündenden Gang von Pedro und Marta zur Kirche für ihre manipulierte Eheschliessung, Pedros 'Wolfserzählung' und das darauf anschliessende Duett in der erschütternden Hochzeitsnacht, das Ensemblespiel der quälenden Frauen und in drastischem Gegensatz damit die Arglosigkeit des Mädchens Nuri, das von Marta in Schutz genommen worden ist, weil sie die eigene Jugend an die des Kindes wiedererkennt, die musikalische Schilderung der Unterschiede zwischen dem Glück der herrlichen Berge, und die verlogene Mentalität des unglücklichen 'Dorfes im Tiefland' (Metapher für die unzuverlässige Welt), und die Charakterisierung des schuldig-schuldlosen Mittelpunkts Marta, die, wenn sie sich letzten Endes doch in Pedro verliebt hat, wieder eifersüchtig auf Nuri wird, weil Pedro schlechthin nett zum Mädchen ist.
Ohne Vorbehalt kann ich sagen, diese Oper sei im Laufe der Jahre auch eine meiner Lieblingsopern geworden.
DIE AUFNAHMEN MIT RUDOLF SCHOCK
Hinten in der kleinen Schock-Biographie, die Friedrich Herzfeld 1962 verfasst, listet Schocks Schallplattengeschäft Electrola seine damaligen Opernaufnahmen auf. Unter denen 'Die toten Augen' von d'Albert. Ich habe diese Aufnahme nie finden können, und zweifle daran, ob es sie überhaupt gibt (In dieser Liste werden übrigens noch zwei Opern genannt, die ich nie irgendwo mit Schock gesehen habe: 'Rusalka' von Dvorák und 'Nabucco' von Verdi).
Von der Oper 'Tiefland' gibt es aber zwei vollständige Aufnahmen:
Erstens eine Studio-Aufnahme von Eurodisc (auf LP und dann CD und später noch einmal auf CD, die von RCA/BMG veröffentlicht wurde). Zweitens eine nur in Privatbesitz existierende - Amateuraufnahme der Live-Premiere an der Wiener Volksoper im Jahre 1967.
1963: Studio-Aufnahme von 'TIEFLAND' (Eurodisc/RCA/BMG) mit Isabell Strauss (Marta), Gerd Feldhoff (Sebastiano), Angelika Fischer (Nuri), Ivan Sardi (Tommaso), Ernst Krukowski (Moruccio), Margarete Klose, Martha Musial, Alice Oelke (Frauen aus dem Dorfe), Kart-Ernst Mercker (Nando) und HANS ZANOTELLI (Dir.)
Rudolf Schock & Isabell Strauss (1963) |
Diese klangtechnisch ausgezeichnete Aufnahme diente 1963/1964 zum Tonband einer ZDF-Fernsehaufführung, die auf YouTube zu sehen ist. Aber, hochgeschätzte SONY, Wiederveröffentlichung in CD-Tonqualität ist dringlich erwünscht!
Angestrebt wird eine möglichst realistische Inszenierung. Für die Rolle der Nuri (gesungen und gespielt von Angelika Fischer) hat man eine junge, zwar beschränkt geschulte, aber herzerobernde Sopranistin gewählt (Musikkritiker Michael Oliver findet in 'Gramophone 2/1989', dass Fischer tatsächlich wie ein Mädchen in höchstens zwölfjährigem Alter klingt).
Angelika Fischer ist als junges Kind verblüffend glaubenswürdig, und auch der niederländische Opernkritiker Leo Riemens ist, wenn die Aufnahme erscheint, ganz begeistert von ihr.
Die andren Frauen aus dem Dorfe sind nicht jung mehr, und das kann man gut hören. Die besonders als Wagner-Ältistin gefeierte Margarete Klose (1902-1968) und die fast genauso bekannte Martha Musial (1908-1995) singen mit flackernder Stimme, aber die Wirkung ist wohl, dass wir sie leibhaftig vor uns sehen. Ernst Krukowski (geb. 1918) als Moruccio, der Dorfbewohner, der Sebastianos teuflische Drehbuch von Anfang an durchsieht, ist nicht durch seine ausserordentliche Stimme, sondern duch die lupenreine Verkörperung von allerhand Typen und Charakteren bekannt geworden.
Angelika Fischer ist als junges Kind verblüffend glaubenswürdig, und auch der niederländische Opernkritiker Leo Riemens ist, wenn die Aufnahme erscheint, ganz begeistert von ihr.
Die andren Frauen aus dem Dorfe sind nicht jung mehr, und das kann man gut hören. Die besonders als Wagner-Ältistin gefeierte Margarete Klose (1902-1968) und die fast genauso bekannte Martha Musial (1908-1995) singen mit flackernder Stimme, aber die Wirkung ist wohl, dass wir sie leibhaftig vor uns sehen. Ernst Krukowski (geb. 1918) als Moruccio, der Dorfbewohner, der Sebastianos teuflische Drehbuch von Anfang an durchsieht, ist nicht durch seine ausserordentliche Stimme, sondern duch die lupenreine Verkörperung von allerhand Typen und Charakteren bekannt geworden.
Der imposante Bariton Gerd Feldhoff (geb. 1931) ist als Sebastiano von kolossaler Allüre: in vokalem Sinne, aber auch als vollkommen glaubhafter Darsteller seiner (bösartigen) Person (Michael Oliver in Gramophone 1989: "Er singt mit grossartiger Expression").
Isabell Strauss (1928-1973) singt wie Feldhoff mit emotioneller Glut. In keinem einzigen Moment gleitet sie in Sentimentalität ab. Es ist ihr Ernst, was sie singt (Gramophones Oliver: "Strauss singt mit rührender Ehrlichkeit").
Es erschüttert mich, dass im Internet wenig über diese Sängerin zu finden ist, aber aus Besprechungen der Tieflandaufnahme in der Vergangenheit und dem Text über sie im Sängerlexikon 'Unvergängliche Stimmen' (Kutsch/Riemens 2. Auflage 1982) stellt sich heraus, dass ruhig angenommen werden darf, dass sie nach erfolgreichen Auftritten in Köln, München, Bern, Amsterdam und Brüssel dazu prädestiniert war, zu einer idealen Sängerin von Wagnerrollen wie Isolde und Brünnhilde heranzureifen. So weit kam es aber nicht. Im Jahre 1973 wählte sie nach einer Aufführung von Wagners 'Götterdämmerung', zusammen mit dem Dirigenten dieser Vorstellung Fritz Janota, in einem Wald bei Oldenburg den Freitod.
Es erschüttert mich, dass im Internet wenig über diese Sängerin zu finden ist, aber aus Besprechungen der Tieflandaufnahme in der Vergangenheit und dem Text über sie im Sängerlexikon 'Unvergängliche Stimmen' (Kutsch/Riemens 2. Auflage 1982) stellt sich heraus, dass ruhig angenommen werden darf, dass sie nach erfolgreichen Auftritten in Köln, München, Bern, Amsterdam und Brüssel dazu prädestiniert war, zu einer idealen Sängerin von Wagnerrollen wie Isolde und Brünnhilde heranzureifen. So weit kam es aber nicht. Im Jahre 1973 wählte sie nach einer Aufführung von Wagners 'Götterdämmerung', zusammen mit dem Dirigenten dieser Vorstellung Fritz Janota, in einem Wald bei Oldenburg den Freitod.
Und dann Rudolf Schock: Ein Kritiker schrieb einst, dass er bei einigen 'heldischen' Momenten seiner Partie an stimmliche Grenzen stösst. Das ist verständlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass die Pedro-Rolle eigentlich für einen (jugendlichen) Heldentenor gedacht ist. Überdies ist Schock im Moment der Aufnahme fast ein Fünfziger. Ich glaube, dass wenn Schock diese Oper (auch er betrachtete sie als eine seiner Lieblingsopern!) z. B. sechs Jahre früher hätte aufnehmen können, diese Grenzen kaum oder nicht ins Bild gekommen wären.
Schock überschreitet in der Rolle seines Lebens (Riemens: "Vielleicht wohl seine allerbedeutendste Leistung auf Schallplatte!!) in natürlicher Weise, ohne eine einzige Übertreibung die Grenze zwischen Oper und Schauspiel. Faktisch hebt er diese Grenze auf.
Wieder ist es die einzigartige, komplette Identifizierung des Sänger-Darstellers Rudolf Schock mit einem Charakter aus dem Musiktheater, die uns beim Zuhören den Atem verschlägt.
Schock überschreitet in der Rolle seines Lebens (Riemens: "Vielleicht wohl seine allerbedeutendste Leistung auf Schallplatte!!) in natürlicher Weise, ohne eine einzige Übertreibung die Grenze zwischen Oper und Schauspiel. Faktisch hebt er diese Grenze auf.
Wieder ist es die einzigartige, komplette Identifizierung des Sänger-Darstellers Rudolf Schock mit einem Charakter aus dem Musiktheater, die uns beim Zuhören den Atem verschlägt.
In der 'Wolfserzählung' macht Schock den Kampf mit dem Wolf so nachvollziehbar, wie nur möglich ist: bald rasend verbissen, bald schwelgend in der Poesie der Sterne über und dem trop-fen-den Eiswasser hinter ihm.
Im Thrillerduett (Finale 1. Akt) ist das 'Gespräch' zwischen Marta und Pedro ungläublich spannend. Es gelingt Schock, jede Phase der Gemütsverfassung, die der irregeführte Bräutigam durchlaufen muss, dem Zuhörer handgreiflich vor Augen zu führen: nach seiner plastischen Erzählung über das Töten des Wolfes erleben wir nacheinander die nicht verstehende Bestürzung, wenn er von Marta beauftragt wird, in einem anderen Zimmer zu schlafen, die Verzweiflung über die genauso unverständliche Tatsache, dass sie ihn "schlecht und schamlos" nennt, die Empörung darüber, dass von Marta angenommen wird, dass er alles weiss, obschon keiner ihm etwas gesagt hat, und dass seine ehrlichen Absichten verkannt werden. Schliesslich - wenn Sebastiano in Martas Zimmer neben dem Raum, wo Pedro und Marta sind, ganz kurz ein Licht anzündet - gibt es jene hauchzarte und zugleich grauenerregende Musik, worin Pedro zutiefst erschüttert mit halber Gesangstimme ('mezza voce' möglichst wirkungsvoll!) ängstlich zu Marta flüstert, er glaube ein Licht im anderen Zimmer gesehen zu haben. Marta antwortet tiefbewegt, er habe geträumt, wonach eine gewisse Fügsamkeit in sein Schicksal und Dankbarkeit für die Frau, "die der Himmel ihm gegeben hat", die Oberhand über ihn gewinnen. Er schläft ein mit den Worten: "Der Wolf kommt heute nicht....". Michael Oliver: "Schock is in splendid form". Er lobt Schocks gewinnendes Wesen, goldehrliches Singen und Stilsicherheit. Andere Kritiker sprechen von "einem glaubwürdigen, packenden Porträt des Hirten, der seiner Unschuld beraubt wird" und von 'einer Darstellung, die psychologisch tiefschürfend ist, und ausserhalb der Grenzen des Üblichen tritt".
Im Thrillerduett (Finale 1. Akt) ist das 'Gespräch' zwischen Marta und Pedro ungläublich spannend. Es gelingt Schock, jede Phase der Gemütsverfassung, die der irregeführte Bräutigam durchlaufen muss, dem Zuhörer handgreiflich vor Augen zu führen: nach seiner plastischen Erzählung über das Töten des Wolfes erleben wir nacheinander die nicht verstehende Bestürzung, wenn er von Marta beauftragt wird, in einem anderen Zimmer zu schlafen, die Verzweiflung über die genauso unverständliche Tatsache, dass sie ihn "schlecht und schamlos" nennt, die Empörung darüber, dass von Marta angenommen wird, dass er alles weiss, obschon keiner ihm etwas gesagt hat, und dass seine ehrlichen Absichten verkannt werden. Schliesslich - wenn Sebastiano in Martas Zimmer neben dem Raum, wo Pedro und Marta sind, ganz kurz ein Licht anzündet - gibt es jene hauchzarte und zugleich grauenerregende Musik, worin Pedro zutiefst erschüttert mit halber Gesangstimme ('mezza voce' möglichst wirkungsvoll!) ängstlich zu Marta flüstert, er glaube ein Licht im anderen Zimmer gesehen zu haben. Marta antwortet tiefbewegt, er habe geträumt, wonach eine gewisse Fügsamkeit in sein Schicksal und Dankbarkeit für die Frau, "die der Himmel ihm gegeben hat", die Oberhand über ihn gewinnen. Er schläft ein mit den Worten: "Der Wolf kommt heute nicht....". Michael Oliver: "Schock is in splendid form". Er lobt Schocks gewinnendes Wesen, goldehrliches Singen und Stilsicherheit. Andere Kritiker sprechen von "einem glaubwürdigen, packenden Porträt des Hirten, der seiner Unschuld beraubt wird" und von 'einer Darstellung, die psychologisch tiefschürfend ist, und ausserhalb der Grenzen des Üblichen tritt".
Die Tiefland-Aufnahme von April 1963 wird von dem im damaligen Moment noch ziemlich jungen Dirigenten Hans Zanotelli (1927-1993) dirigiert.
Gramophone's Michael Oliver ("no weak link in this recording") sagt über Zanotelli, dass er die Musik klingen lässt, als ob er ein ganzes Leben lang 'Tiefland' bewundert und dirigiert hat. Ich weiss nicht, ob das so ist, aber Zanotelli lässt den Berliner Symphoniker jedenfalls lebhaft und in ganz genauer Wechselbeziehung mit den Solisten musizieren.
Gramophone's Michael Oliver ("no weak link in this recording") sagt über Zanotelli, dass er die Musik klingen lässt, als ob er ein ganzes Leben lang 'Tiefland' bewundert und dirigiert hat. Ich weiss nicht, ob das so ist, aber Zanotelli lässt den Berliner Symphoniker jedenfalls lebhaft und in ganz genauer Wechselbeziehung mit den Solisten musizieren.
Zur Zeit der Aufnahme hatte Zanotelli einen Gastvertrag mit der Deutschen Oper Berlin. Daneben und davor dirigierte er in Augsburg, Bonn, Düsseldorf und Hamburg. Die künstlerische Laufbahn fing als Chor- und Operettendirigent an, und er war Leiter der Opernschule am 'Bergischen Landeskonservatorium'.
1967: LIVE-Ausführung a/d/ WIENER VOLKSOPER von 'TIEFLAND' mit Christiane Sorell (Marta), Ernst Gutstein (Sebastiano), Monique Lobasa (Nuri), Jens Flottau (Tommaso), Heinz Holecek (Moruccio), Else Liebesberg, Elisabeth Sobota, Henny Herze (Mädchen aus dem Dorfe), Adolf Dallapozza (Nando) und DIETFRIED BERNET (Dir.), Amateur-Aufnahme.
Rudolf Schock & Christiane Sorell (1967) |
Rudolf Schock sang 1967 und 1968 die Rolle des Hirten Pedro nicht nur in Wien, sondern auch in Aachen, Wiesbaden und Osnabrück. Am 26. Januar 1967 fand die 'Tiefland'-Premiere in der Wiener Volksoper statt.
Wie verlautet, war Schock an diesem Abend erkältet.
Noch im Jahre 2007 lese ich, dass ein Musikliebhaber die neue Volksoper-Premiere von 'Tiefland' aus dem Jahre 1967 mit Begeisterung in Erinnerung hat! Er spricht vom "sensationellen Erfolg" mit einem "grandiosen Rudolf Schock".
Noch im Jahre 2007 lese ich, dass ein Musikliebhaber die neue Volksoper-Premiere von 'Tiefland' aus dem Jahre 1967 mit Begeisterung in Erinnerung hat! Er spricht vom "sensationellen Erfolg" mit einem "grandiosen Rudolf Schock".
Die technische Qualität dieser Live-Aufnahme ist beschränkt. Man bekommt den Eindruck, dass das Tonbandgerät nur auf einer Seite der Bühne beim dann und wann mitmurmelnden Bühnenpersonal gestanden hat. Das hat zur Folge, dass der Ton ab und zu schwächer ist, und das Orchester bei geschlossenem Vorhang sehr verhalten klingt. Aber ein Dokument ist es! (LINK https://www.youtube.com/watch?v=OgnTZlOtIeE&t=3067s: Live-Fragment Tiefland im Film 'RS: I sing that too'!)
Rudolf Schock scheint tatsächlich erkältet zu sein, und der damals 51jährige Sänger sieht die Grenzen seiner vokalen Mittel möglicherweise noch etwas eher auftauchen, aber im übrigen geschieht dasselbe wie in der Studio-Aufnahme: Er singt und spielt die Grenzen einfach weg! In Einzelheiten gibt es Unterschiede mit der Hans Zanotelli-Aufnahme (Dietfried Bernet nimmt die Tempi bald langsamer, bald schneller), aber der grosse Effekt ist wieder da! Man hört, wie Schock in der 'Wolfserzählung', während er ungestüm weitersingt, im Eiltempo über die Bühne rennt. Erkältet oder nicht erkältet: er schont sich keinen Augenblick. In dem wiederum aufregenden Duett spürt man die enorme Spannung, die im Saal hängt. Es gibt kaum jemanden unter den Zuschauern, der hustet...
Die anderen Partien werden von renommierten, hauptsächlich österreichischen Sängern besetzt:
Die Marta wird vortrefflich von (Kammersängerin) Christiane Sorell (1933-2015) gesungen.
Ein einziges Mal (die Bühne ist eben eine verführerischere Umgebung als das kühlere Studio) ist ihr Schmerz etwas zu akzentuiert, aber es macht mir keine Mühe, an diese Marta zu glauben.
Ein einziges Mal (die Bühne ist eben eine verführerischere Umgebung als das kühlere Studio) ist ihr Schmerz etwas zu akzentuiert, aber es macht mir keine Mühe, an diese Marta zu glauben.
Ernst Gutstein (1924-1998), ein Sänger, der überall in der Welt (u.a. an der Metropolitan Opera in NewYork) gesungen hat, gibt alles in allem genommen einen guten Sebastiano ab. In der Finale des 2. Aktes singt er wohl etwas unter Druck, und er beschwört nicht die furchterregende Atmosphäre des Kollegen Gerd Feldhoff in der Studio-Aufnahme herauf.
Monique Lobasa setzt für die Nuri-Rolle ihre wohl geschulte Sopranstimme (Vgl. Angelika Fischer 1963) mit überzeugendem Resultat ein. Se beweist, dass das auf diese Weise auch möglich ist.
Monique Lobasa |
Aus den drei Frauen (1963) sind 1967 drei Mädchen geworden, was eine einigermassen operettenhafte Stmmung hervorruft.
Adolf Dallapozza (1940- ), ein bekannter Tenor, hat eine prachtvolle, klare Stimme.
Karl-Ernst Mercker hat aber als Nando in der Aufnahme unter Zanotelli die bessere Textbehandlung.
Karl-Ernst Mercker hat aber als Nando in der Aufnahme unter Zanotelli die bessere Textbehandlung.
Heinz Holecek (1938-2012) ist ein Allround-Künstler.
Aktiv als (Kammer)sänger (u.a. berühmt als Papageno in der 'Zauberflöte'), als Kabaretier, als Schauspieler und als Theaterregisseur.
Sein Moruccio mutet beim Zuhören ein bisschen übertrieben an, aber ich darf nicht vergessen, dass eine Live-Aufführung andere Ansprüche als eine Studio-Aufnahme stellt.
Aktiv als (Kammer)sänger (u.a. berühmt als Papageno in der 'Zauberflöte'), als Kabaretier, als Schauspieler und als Theaterregisseur.
Sein Moruccio mutet beim Zuhören ein bisschen übertrieben an, aber ich darf nicht vergessen, dass eine Live-Aufführung andere Ansprüche als eine Studio-Aufnahme stellt.
Dietfried Bernets Orchesterdirigat ist akkurat und hat Theateratmosphäre.
Abschliessend fasse ich die nuancierte Kritik eines Augenzeugen an der gesamten 1967-Ausführung zusammen (Mit Dank an Herrn Ludwig Stumpff, der so freundlich war, mir den Text zuzusenden. Leider kenne ich den Namen des Augenzeugen nicht, aber wenn der Name nachträglich bekannt wird, füge ich ihn gerne zu):
"Tiefland.....Wien 1967...realistisches Stück...bühnenwirksam...Musik reizvoll....drei Hauptgestalten sind wirkliche Menschen...keine oberflächlichen Konfliktsituationen...mit Belcanto ist da nicht viel zu holen...wirksame, passende Darsteller...nie platte Rührseligkeit, sondern herb und drastisch....
SCHOCK: Intelligenz, Musikalität, Spieltalent...inzwischen oft heisere Bruststimme durch Erkältung..gerade deswegen verblüfft die Kontrolle, die er über sein Organ hat...Kaum meint man, ein hoher Ton würde ihm entgleiten, ein Vibrato würde eine Phrase in der höheren Mittellage verunstalten - da hat er die Gefahr schon behoben, hält den gefährdeten Ton stramm aus, übersingt mit eiserner Willenskraft...Spielen kann man den Pedro nicht besser...eine zugleich kindliche und männliche Figur, fast auf Siegfried-Niveau...
SORELL: .... gesundes Bühnentemperament....GUTSTEIN: akzeptabel, Mittellage angenehm, enge Höhe....LOBASA: reizend und liebenswürdig...Von den übrigen macht besonders HOLECEK als Moruccio eine gute Figur. Der Beifall war ausdauernd, quantitäts- und intensitätsmässig über dem langjährigen Volksoperndurchschnitt.....
Krijn de Lege, 30.1.2008/26.8.2016