Gaetano Donizetti |
Im Jahre 1819 verfasst Sir Walter Scott (1771-1832) den historischen Roman 'The Bride of Lammermoor', und im Jahre 1835 komponiert Gaetano Donizetti die Oper: 'Lucia di Lammermoor'.
Textdichter Salvatore Cammarano gründet das Libretto mit leichter Hand auf Scotts Roman: Lucia von Lammermoor liebt Edgard von Ravenswood von ganzem Herzen. Lucia und Edgard treffen einander regelmässig heimlich. Lucias Bruder Henry (Enrico) will, dass Lucia mit Lord Arthur Bucklaw eine Vernunftehe eingeht, weil ihm das politisch gut passen würde. Als Henry erfährt, Lucia habe ein Verhältnis mit Erzfeind Edgard, erpresst er sie mit der Möglichkeit, er, ihr Bruder, könne von den neuen Machthabern wohl einmal enthauptet werden, wenn sie Bucklaw nicht heirate. Auch sagt er, zu wissen, Edgard sei ihr untreu. Lucia zeichnet den Ehekontrakt. Während des Festes stürzt Edgard in den Saal. Er beschuldigt Lucia des Verrats (das bekannte Sextett). In der Hochzeitsnacht ersticht eine vor Liebeskummer wahnsinnig gewordene Lucia den neuen Gatten mit dem eigenen Dolch. Sie sucht nun Edgard, glaubt, Festgeräusche leiten die kirchliche Vereinigung mit Edgard ein, nimmt sich einen festlichen Leuchter mit brennenden Kerzen und geht damit die Treppe zum Festsaal hinunter (Wahnsinnsszene). Donizetti unterbricht Lucias Szene durch den Auftritt Henrys, der unter den Vorwürfen Raimondos, des alten Erziehers der Lucia, zerknirscht ist. Dieses Intermezzo wird aber fast nie ausgeführt, so dass aus Lucias 'Wahnsinns-szene' eine (ununterbrochene) 'Wahnsinns-arie' geworden ist. Im letzten Bild begeht Edgard am Grabe seines Vaters Selbstmord. Er hat soeben von Raimondo erfahren, dass Lucia nicht mehr lebt. Ausserhalb des Intermezzos in der Wahnsinsszene werden häufig noch andere Teile der Oper ausgelassen, wodurch die Handlung nicht einfach zu verfolgen ist.
Über Lucia und ihre Sopranistinnen
In den drei Jahren nach 'L'elisir d'amore' (1832) produziert Donizetti wiederum in einem rasanten Tempo Opern, wovon 'Lucia di Lammermoor' die elfte (!) ist. Donizetti schreibt die Rolle der fragilen Lucia für die Koloratursopran Fanny Persiani (1812-1867-Gemälde von Karl Brulloff 1834). Er findet ihre Stimme eigentlich kühl, aber ist von ihrer gesangstechnischen Virtuosität sehr beeindruckt: Der italienische 'bel canto' mit seiner vokalen Akrobatik und ausführlichen Formenlehre ist ja in Donizettis Zeiten noch immer die Grundnorm. Rein äusserlich entspricht 'Lucia di Lammermoor' dieser Grundnorm, aber der schwarz-romantische Inhalt appelliert an den Hang des Publikums zur Spannung und Sensation. Das erfolgreiche Rezept atemberäubend-virtuoser Stimmen inmitten eines schaudererregenden Realismus macht, dass ein 'dramma tragico' wie 'Lucia di Lammermoor' - gegen die Strömung eines mehr auf die Wortbedeutung bezogenen Gesangsstils - sich bis weit ins zwanzigste Jahrhundert zu behaupten weiss. All diese Jahre bleibt die Rolle der Lucia die - von Donizetti erwünschte - Domäne der Koloratursopran. Dann aber bricht in der Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die 'Callas-Revolution' aus!
Maria Callas
Die dramatische Sopranistin Maria Callas (1923-1977) erobert die dramatisch-romantischen Opernwerke von Donizetti (und Bellini) durch eine seltene Kombination "physischer Kraft, glutvoller Dramatik des Vortrages" (Kutsch/Riemens-1986) und prachtvoller, sofort erkennbarer Stimme, die "in Höhe und Tiefe geradezu unbegrenzt" (Alfred A. Goodman-1971) zu sein scheint. Die Callas macht mit den vokalen Verzierungen - um der Verzierungen selber willen - ganz einfach Schluss: Gesang und Spiel sollen nur einer möglichst glaubhaften Darstellung der zentralen Operngestalt dienen. Maria Callas reduziert mit einem Schlag den traditionellen 'bel canto' zu einem Überrest aus der Vergangenheit. Für Friedrich Herzfeld ('Schallplattenführer für Opernfreunde'-1962) wird die 'Callas-Lucia' zum Rollenmodell für "alle, die eine unglückliche Liebesbeziehung haben". Wenn sie die Wahnsinnsarie singt, "versagen alle Versuche einer Beschreibung. Hier nimmt eine Frau Abschied von der Welt, die sie geliebt hat". Der Auffassung der Maria Callas von der Lucia-Rolle wird bis heute von vielen, dramatisch talentierten Sängerinnen nachgefolgt. Koloratur-sängerinnen suchten und fanden aber wieder andere Wege, die zu einer - genauso gut akzeptierten - Synthese von Donizettis 'bel canto' und die Dramatik der Callas führten. Noch zur Zeit der Callas (1959) galt das für die namhafte, australische Sopran Joan Sutherland, und schon 1956 - noch drei Jahre früher also - für die deutsche Koloratürsopran Erika Köth!
Erika Köth singt Lucia di Lammermoor
Erika Köth (1927-1989) ist 29 Jahre alt, wenn sie in einer Neuproduktion der Bayerischer Staatsoper unter dem legendären Dirigenten Ferenc Fricsay die Rolle der Lucia (oder hiess diese Rolle Ende 1956 'die Rolle der Callas'?) singt. Josef Metternich (gerade zurück von drei Jahren Metropolitan Opera in New York) ist zu hören als Henry (Enrico), und der ungarische Tenor Josef Simandy als Edgard(o). Die Vorstellung ist ein Riesenerfolg. Es muss Erika Köth zwischen Ende 1956 und 1963, der Periode, worin sie in München ungefähr hundertmal die 'Lucia' sang, gelungen sein, das Publikum Maria Callas für einen Abend vergessen zu lassen. Und das war damals eine ausserordentlich grosse Leistung. Ein Kritiker, der Köth in den Sechzigern in München noch "erlebt" hat, erzählt, dass sie "nach altem ('bel canto' -) Brauch die Partie mit zahlreichen zusätzlichen Verzierungen und Kadenzen (variierten Wiederholungen) ausstattete", aber "in anderer Art als bei der Callas, ebenfalls sehr eindringlich war". Thomas Voigt im Jahre 2000 (ich hoffe, er nehme es mir nicht übel, dass ich ihn so gern zitiere): "Als klassische Koloratursopran gehörte Erika Köth keineswegs zur Spezies der 'Nachtigallen', die unbekümmert über jeden tieferen Sinn der Musik hinwegzwitschern. Ihre Stimme hatte per se Charakter und Seele...sie konnte mit ihren Mitteln umsetzen, was die Callas auf so geniale Weise gezeigt hatte".
******
Opern-Ensemble vol Weltklasse auf der Schallplatte
Die fünfziger Jahre sind die Jahre, worin Electrola-Produzent Fritz Ganss (Siehe Foto mit Erika Köth) ein auserlesenes Ensemble von gefeierten und vielversprechenden Opernsängern für einen 'Basiskatalog' hauptsächlich deutsch gesungener, kommerzieller Opern (und Operetten!) -Aufnahmen formiert.
Über Lucia und ihre Sopranistinnen
In den drei Jahren nach 'L'elisir d'amore' (1832) produziert Donizetti wiederum in einem rasanten Tempo Opern, wovon 'Lucia di Lammermoor' die elfte (!) ist. Donizetti schreibt die Rolle der fragilen Lucia für die Koloratursopran Fanny Persiani (1812-1867-Gemälde von Karl Brulloff 1834). Er findet ihre Stimme eigentlich kühl, aber ist von ihrer gesangstechnischen Virtuosität sehr beeindruckt: Der italienische 'bel canto' mit seiner vokalen Akrobatik und ausführlichen Formenlehre ist ja in Donizettis Zeiten noch immer die Grundnorm. Rein äusserlich entspricht 'Lucia di Lammermoor' dieser Grundnorm, aber der schwarz-romantische Inhalt appelliert an den Hang des Publikums zur Spannung und Sensation. Das erfolgreiche Rezept atemberäubend-virtuoser Stimmen inmitten eines schaudererregenden Realismus macht, dass ein 'dramma tragico' wie 'Lucia di Lammermoor' - gegen die Strömung eines mehr auf die Wortbedeutung bezogenen Gesangsstils - sich bis weit ins zwanzigste Jahrhundert zu behaupten weiss. All diese Jahre bleibt die Rolle der Lucia die - von Donizetti erwünschte - Domäne der Koloratursopran. Dann aber bricht in der Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die 'Callas-Revolution' aus!
Maria Callas
Die dramatische Sopranistin Maria Callas (1923-1977) erobert die dramatisch-romantischen Opernwerke von Donizetti (und Bellini) durch eine seltene Kombination "physischer Kraft, glutvoller Dramatik des Vortrages" (Kutsch/Riemens-1986) und prachtvoller, sofort erkennbarer Stimme, die "in Höhe und Tiefe geradezu unbegrenzt" (Alfred A. Goodman-1971) zu sein scheint. Die Callas macht mit den vokalen Verzierungen - um der Verzierungen selber willen - ganz einfach Schluss: Gesang und Spiel sollen nur einer möglichst glaubhaften Darstellung der zentralen Operngestalt dienen. Maria Callas reduziert mit einem Schlag den traditionellen 'bel canto' zu einem Überrest aus der Vergangenheit. Für Friedrich Herzfeld ('Schallplattenführer für Opernfreunde'-1962) wird die 'Callas-Lucia' zum Rollenmodell für "alle, die eine unglückliche Liebesbeziehung haben". Wenn sie die Wahnsinnsarie singt, "versagen alle Versuche einer Beschreibung. Hier nimmt eine Frau Abschied von der Welt, die sie geliebt hat". Der Auffassung der Maria Callas von der Lucia-Rolle wird bis heute von vielen, dramatisch talentierten Sängerinnen nachgefolgt. Koloratur-sängerinnen suchten und fanden aber wieder andere Wege, die zu einer - genauso gut akzeptierten - Synthese von Donizettis 'bel canto' und die Dramatik der Callas führten. Noch zur Zeit der Callas (1959) galt das für die namhafte, australische Sopran Joan Sutherland, und schon 1956 - noch drei Jahre früher also - für die deutsche Koloratürsopran Erika Köth!
Erika Köth singt Lucia di Lammermoor
Erika Köth (1927-1989) ist 29 Jahre alt, wenn sie in einer Neuproduktion der Bayerischer Staatsoper unter dem legendären Dirigenten Ferenc Fricsay die Rolle der Lucia (oder hiess diese Rolle Ende 1956 'die Rolle der Callas'?) singt. Josef Metternich (gerade zurück von drei Jahren Metropolitan Opera in New York) ist zu hören als Henry (Enrico), und der ungarische Tenor Josef Simandy als Edgard(o). Die Vorstellung ist ein Riesenerfolg. Es muss Erika Köth zwischen Ende 1956 und 1963, der Periode, worin sie in München ungefähr hundertmal die 'Lucia' sang, gelungen sein, das Publikum Maria Callas für einen Abend vergessen zu lassen. Und das war damals eine ausserordentlich grosse Leistung. Ein Kritiker, der Köth in den Sechzigern in München noch "erlebt" hat, erzählt, dass sie "nach altem ('bel canto' -) Brauch die Partie mit zahlreichen zusätzlichen Verzierungen und Kadenzen (variierten Wiederholungen) ausstattete", aber "in anderer Art als bei der Callas, ebenfalls sehr eindringlich war". Thomas Voigt im Jahre 2000 (ich hoffe, er nehme es mir nicht übel, dass ich ihn so gern zitiere): "Als klassische Koloratursopran gehörte Erika Köth keineswegs zur Spezies der 'Nachtigallen', die unbekümmert über jeden tieferen Sinn der Musik hinwegzwitschern. Ihre Stimme hatte per se Charakter und Seele...sie konnte mit ihren Mitteln umsetzen, was die Callas auf so geniale Weise gezeigt hatte".
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Opern-Ensemble vol Weltklasse auf der Schallplatte
Die fünfziger Jahre sind die Jahre, worin Electrola-Produzent Fritz Ganss (Siehe Foto mit Erika Köth) ein auserlesenes Ensemble von gefeierten und vielversprechenden Opernsängern für einen 'Basiskatalog' hauptsächlich deutsch gesungener, kommerzieller Opern (und Operetten!) -Aufnahmen formiert.
Mit vielen Arien und Duetten, auch einigen vollständigen Opern, aber besonders - mit Dank am neuen LP-Format - Opern- und Operetten-Querschnitten aus dem deutsch-österreichischen, italienischen, französischen, mittel- und osteuropäischen Musiktheater-Repertoire. Mit Abstand der wichtigste Tenorplatz wird von Fritz Ganss dem 'Shooting Star' Rudolf Schock (Siehe Photo) eingeräumt, dessen lyrische und heldische Qualitäten ihn für allerhand unterschiedliche Rollen geeignet machen.
Was die Sopranistinnen betrifft, wünscht Ganss sich eine grössere Auswahl: u.a. Erna Berger, Lisa Otto, Anneliese Rothenberger, Erika Köth, Leonie Rysanek und (später) Melitta Muszely. Die Mezzosopranistin/Altistin ist meistens Sieglinde Wagner und der Bassist Gottlob Frick. Die Baritonisten Josef Metternich, Dietrich Fischer-Dieskau, Marcel Cordes und Hermann Prey machen dieses Opern-Ensemble von Weltklasse vollständig. Dem Dirigenten Wilhelm Schüchter vertraut Ganss die musikalische Leitung der neuen Aufnahmen an.
Wilhelm Schüchter dirigiert
Anfang 1957 nimmt Schüchter Höhepunkte aus Donizettis 'dramma tragico' 'Lucia di Lammermoor' auf, mit natürlich Erika Köth als Lucia. Electrola veröffentlicht den 'Grossen Querschnitt' auf LP. Nach 'digital remastering' erscheinen 2000 die Aufnahmen auf CD.
Einzelheiten 'Lucia di Lammermoor' auf LP/CD
Lord Henry (Enrico) Ashton: Josef Metternich, Bariton
Lucia, seine Schwester: Erika Köth, Sopran
Edgard (o) von (di) Ravenswood: Rudolf Schock, Tenor
Lord Arthur (Arturo) Bucklaw: Manfred Schmidt, Tenor
Raimondo Bidebent, Erzieher Lucias: Gottlob Frick, Bass
Alisa, Lucias Zofe: Hertha Töpper, Alt
Chor der Städtischen Oper Berlin, Leitung Hermann Lüddecke
Elfriede Hübner: Harfensolo (CD-Track 1, 4)
Helmut Höwing: Flötensolo (CD-Track 13-16)
Berliner Symphoniker, Dirigent WILHELM SCHÜCHTER
Aufgenommen: 30./31. Januar 1957 in Berlin (Grunewaldkirche)
Tonmeister: Horst Lindner
Produzent: Fritz Ganss
Über die Aufnahmen
ist, was Erika Köth anbelangt, eigentlich schon vieles gesagt worden. So muss sie seit dem 22. Dezember 1956 in München die Lucia dargestellt haben: Ihre Stimme macht die Fragilität der ursprünglichen Lucia aus dem Jahre 1835 wieder hör- und sichtbar. In der Wahnsinnsszene ist sie ergreifend:
'........Die Kerzen leuchten
Schon glimmt der Weihrauch
Es naht der Priester
Reiche mir die Rechte! O Tag der Freude!
Endlich bin ich dein, du der Meine!
Wir sind auf immer vereint........'
*****
('........Ardon gl'incensi
Splendon le sacre faci, splendon intorno
Ecco il ministro! Porgimi la destra.
Oh lieto giorno, oh lieto!
Alfin son tua, alfin sei mio!
A te mi dona un Dio.......')
Wilhelm Schüchter dirigiert
Anfang 1957 nimmt Schüchter Höhepunkte aus Donizettis 'dramma tragico' 'Lucia di Lammermoor' auf, mit natürlich Erika Köth als Lucia. Electrola veröffentlicht den 'Grossen Querschnitt' auf LP. Nach 'digital remastering' erscheinen 2000 die Aufnahmen auf CD.
Einzelheiten 'Lucia di Lammermoor' auf LP/CD
Lord Henry (Enrico) Ashton: Josef Metternich, Bariton
Lucia, seine Schwester: Erika Köth, Sopran
Edgard (o) von (di) Ravenswood: Rudolf Schock, Tenor
Lord Arthur (Arturo) Bucklaw: Manfred Schmidt, Tenor
Raimondo Bidebent, Erzieher Lucias: Gottlob Frick, Bass
Alisa, Lucias Zofe: Hertha Töpper, Alt
Chor der Städtischen Oper Berlin, Leitung Hermann Lüddecke
Elfriede Hübner: Harfensolo (CD-Track 1, 4)
Helmut Höwing: Flötensolo (CD-Track 13-16)
Berliner Symphoniker, Dirigent WILHELM SCHÜCHTER
Aufgenommen: 30./31. Januar 1957 in Berlin (Grunewaldkirche)
Tonmeister: Horst Lindner
Produzent: Fritz Ganss
Über die Aufnahmen
ist, was Erika Köth anbelangt, eigentlich schon vieles gesagt worden. So muss sie seit dem 22. Dezember 1956 in München die Lucia dargestellt haben: Ihre Stimme macht die Fragilität der ursprünglichen Lucia aus dem Jahre 1835 wieder hör- und sichtbar. In der Wahnsinnsszene ist sie ergreifend:
'........Die Kerzen leuchten
Schon glimmt der Weihrauch
Es naht der Priester
Reiche mir die Rechte! O Tag der Freude!
Endlich bin ich dein, du der Meine!
Wir sind auf immer vereint........'
*****
('........Ardon gl'incensi
Splendon le sacre faci, splendon intorno
Ecco il ministro! Porgimi la destra.
Oh lieto giorno, oh lieto!
Alfin son tua, alfin sei mio!
A te mi dona un Dio.......')
Als Erika Köth von 'den Kerzen, die leuchten' singt, verübt sie regelrecht einen Anschlag auf die Tränendrüsen. Das macht Köth bei mir genau in dem Augenblick, als sie die Lautstärke des Wortes 'leuchten' plötzlich zurücknimmt. Das Übrige der gesungenen Worte kann ich dann nicht mehr lesen, aber - welch ein Glück! - wohl hören.
Die gut 47 Minuten der LP/CD werden selbstverständlich vor allem Erika Köth in der Titelrolle gewidmet. Alisa (Hertha Töpper, geb. 1924-siehe Photo) ist kurz, aber kräftig in der 2. Szene des 1. Aktes zu hören, worin Lucia im Park auf Edgard wartet. Lucias Erzieher Raimondo (Gottlob Frick 1906-1994-siehe Photo) singt ominös das Intro zur Lucias Wahnsinnsszene (3. Akt), worin er den Hochzeitsgästen die grauenerregenden Ereignisse im Brautgemach berichtet (Arie: 'Aus dem Zimmer, wohin das Brautpaar/ Dalle stanze ove Lucia'). Henry (Josef Metternich 1915-2005-siehe Photo) ist grandios, als er Lucia in der Szene mit Duett zu Anfang des 2. Aktes schwer unter Druck setzt. Edgard (Rudolf Schock) und Lord Arthur Bucklaw (Manfred Schmidt, geb. 1928) singen - zusammen mit den anderen Solisten - im monumentalen Sextett ('Wer vermag's, den Zorn zu hemmen/Chi mi frena in tal momento'). Schock und Metternich eröffnen dieses Glanzstück in überrumpelnd italienischem Stil, den auch der deutsche Text nicht zu hemmen vermag: Bei ihrem bühnengerecht-stolzen Zwiegesang sitzt einer auf einmal ganz aufrecht in seinem Stuhl. Der auf viele Formen des Musiktheaters spezialisierte, deutsche 'Kapellmeister' Wilhelm Schüchter dirigiert das Berliner Orchester bei jeder dramatischen Wendung mit genauem und energischem Engagement.
Wilhelm Schüchter (1911-1974)
Es scheint mir in der Retrospektive eine notwendige Feststellung, dass die Musikwelt zu lange die vielseitigen Qualtäten des Dirigenten Wilhelm Schüchter übersehen hat. Alles, was er auf dem Gebiet der Oper in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren leistete, fand nicht die Anerkennung, die es verdiente. Nach fünf sehr gelungenen Wiener Opernvorstellungen in der Periode 1972-1974 bot ihm die Wiener Staatsoper einen neuen Vertrag für abermals vierzig Opernabende. Zu diesen Abenden sollte es aber nicht mehr kommen: Wilhelm Schüchter starb. Am 27. Mai 1974.
Heutzutage hat sich das Blatt gewendet: seine veröffentlichten Opern-CDs finden endlich Anerkennung, und man staunt über die Spannweite und hohe Qualität des künstlerischen Könnens. Wilhelm Schüchter konnte alles: Wagner und Verdi, Puccini und Massenet, Lehár (ja, auch Operette!) und Donizetti, Offenbach und Mussorgski, Tschaikowski und Auber, Mascagni und Mozart, Beethoven und sogar Richard Taubers 'Du bist die Welt für mich', das - von Rudolf Schock gesungen - unter Schüchters Leitung zum Evergreen wurde.
Krijn de Lege, 20.6.2023