14.10.10

RUDOLF SCHOCK SINGT HANS EBERT/HANS BETHGE

Wandgemälde in Dun Huang aus der Periode der Tang-Dynastie













Rudolf Schock singt:
FÜNF CHINESISCHE GESÄNGE
Musik: Hans Ebert
Text: Hans Bethge

Hans Ebert (1889-1952)
Über den Komponisten und Dirigenten Hans Ebert war bis vor kurzem kaum Information zu finden. Er wurde nur in einer auffallend langen, besonderen Reihe von Komponisten genannt, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts deutschsprachige Textbearbeitungen alter chinesischer Gedichte vertonten.

Anno 2015 ist mehr über ihn bekannt:
Im Anlauf zum 2. Weltkrieg war Hans Ebert (dessen Gattin jüdisch war) als Komponist orchestraler Musik, von Liedern und Filmsoundstracks ausgesprochen beliebt.
Noch 1940 erlebte er, dass seine Oper 'Hille Bobbe' zur gleichen Zeit in Nürnberg, Darmstadt und Königsberg erfolgreich Premiere hatte.
Das Werk konnte jedoch als Kritik am Naziregime interpretiert werden, worauf die Oper prompt als "Negermusik, dekadent und dissonant" diskwalifiziert wurde. Im Jahre 1943 musste Ebert gezwungen die Reichsfilm- und Reichsmusikkammer verlassen. Merkwürdig dabei war, dass 'Hille Bobbe' danach doch oft weitergespielt werden durfte.

(NB: Eberts Inspirationsquelle war ein Gemälde aus dem Jahre 1633 des niederländischen Malers Frans Hals, worauf eine ältere, schamlos grinsende Frau namens Hille Bobbe abgebildet war (auf niederländisch 'Malle Babbe = Blöde Barbara' auch wohl 'Die Hexe von Haarlem' genannt).      

Hans Bethge (1876-1946)

Der Dichter und Schriftsteller Hans Bethge ist der Vergessenheit eher entkommen, obschon sich herausstellt, dass in literarischen Kreisen sein künstlerisches Können ziemlich umstritten war, und wahrscheinlich noch immer ist: Bethges in Fernost situierte Gedichte sind Bearbeitungen schon bestehender Übersetzungen aus dem Chinesischen. Bethge konnte kein Chinesisch sprechen. Er spiele - in den Augen der Literaturkritik - den grossen Herrn mit "Lyrik aus zweiter Hand" (Adorno). Positive Aussagen renommierter Schriftsteller wie Rainer Maria Rilke, Stefan Zweig und Hermann Hesse konnten daran nichts ändern. Ich vermute, Bethge lasse sich ordentlich mit dem genauso literarisch umstrittenen Karl May (1842-1912) vergleichen, dem Schöpfer von Old Shatterhand, Winnetou und Kara Ben Nemsi, dessen Reiseromane sich vorwiegend in Nordamerika und dem Nahost abspielen.

Es ist dagegen beachtenswert, dass Textdichter Hans Bethge in der musikalischen Welt weit und breit wegen der Feinfühligkeit seiner Neudichtungen der (u.a.) chinesischen Poesie bewundert und gelobt wurde. Die Bearbeitungen erwiesen sich nämlich als eine exotische Inspiration für allerhand Kompostionen grosser und kleine(re)r Tondichter: Gustav Mahlers 'Lied von der Erde', das grossenteils Bethges Texte zitiert, könnte als eindrucksvollstes Beispiel gelten. Aber auch Richard Strauss, Arnold Schönberg, Gottfried von Einem, Ernst Krenek und Anton Webern benutzten Bethges Gedichte, und Operettenkomponist Franz Lehár setzte aus Bethges Poesiesammlung für sein 'Land des Lächelns' das Gedicht 'Birnbaumblüten' ins innige 'Von Apelblüten einen Kranz' um.

Eine 2300 Jahre alte, chinesische Dichtkunst







Die chinesischen Verse, die Hans Bethge bearbeitete, stammen aus der Periode der Tang-Dynastie, die nahezu unabgebrochen von 618 bis 907 dauerte, und als ein Höhepunkt in der chinesischen Kultur betrachtet wird.

















Während der Tang-Dynastie erlebten die Künste eine ungeheure Blüte, und einer ihrer legendären Vertreter war der Dichter Li-Bai (auch Li-Po oder Li-Tai-Po genannt - siehe Zeichnung), der von 705 bis 762 lebte. Dieser Li-Bai schrieb viele Gedichte, die zusammen mit Poesie einer Anzahl Zeitgenossen Hans Bethge in die Hände geraten waren. Dieser setzte sich an eine umfangreiche Neudichtung, wobei er vor allem viel Erfolg mit seiner chinesischen Lyrik im Zyklus 'Die Chinesische Flöte' hatte, die im Jahre 1920 - um andere Poesie ergänzt - als 'Pfirsichblüten aus China' neu veröffentlicht wurde.














Rudolf Schock singt Hans Ebert
Im Jahre 2005 brachte das schweizerische CD-Label Relief zum Rudolf Schocks 90. Geburtstag eine - was Programm, Tonqualität und Ausstattung betrifft -hervorragende Doppel-CD heraus, worauf ich in den vergangenen Jahren schon oft hingewiesen habe. Relief, das der Kassette den Titel 'Rudolf Schock, Germany's great lyric Tenor' (Relief CR 3001) mitgibt, führt den Hörer durch Schocks sehr breites Opernrepertoire (Periode 1946-1953) und fügt den CDs noch Fragmente aus Händels 'Messias', Bruckners 'Grosse Messe' und 'Fünf Chinesische Gesänge' von Ebert/Bethge hinzu. Die Herausgabe zählte damals im Jahre 2005 acht Neuveröffentlichungen, worunter die der chinesischen Lieder.

Hätte ich diesen Artikel 'Rudolf Schock singt Hans Bethge' genannt, müsste ich bestimmt erwähnen, Schock habe zahllose Male Lehárs 'Von Apfelblüten einen Kranz' dargestellt, wovon es auf Schallplatte und/oder CD allein schon fünf Aufnahmen gebe. Und gewiss hätte ich daran erinnert, Rudolf Schock und die Altistin Margarete Klose sängen unter dem Dirigenten Hans Schmidt-Isserstedt Mahlers 'Lied von der Erde' (Hamburg, 1948). Ich muss aber 'prima' von der 'musica' ausgehen, und nur Hans Ebert allein ist für die schöne Musik der 'Fünf Chinesische Gesänge' verantwortlich.

Die 'Fünf Chinesische Gesänge' (eigenwillig) zusammengefasst:

Lied 1 ('Im Frühlingsgarten...'), das musikalisch (angenehm) unter Richard Strauss-Einfluss steht, besingt den überglücklichen Menschen (Li-Bai - siehe Zeichnung) im Frühlingsgarten, der ihn zum Dichter gemacht hat. Wenn die Blumen im Garten schon längst vergangen sind, werden sie noch immer in der Seele des Dichters blühen...

Lied 2 ('Sieben Schimmel traben...') umreisst durch knappe, aber anschauliche Stichwörter, und auf Akzenten einer betont chinesisch anmutenden Musik komponiert, sieben trabende Pferde um eine Herberge (?) herum, worin sieben schreibende, alte Männer und "eine alte Vettel" sind (es steht so geschrieben; also bitte ich um Verzeihung - kdl). Aber zum Glück - denn die Lenz ist da, und der Wein schmeckt gut - gibt es auch sieben junge Mädchen, und die "treten ein...treten ein".

Lied 3 ('Einst aus meinem Grabe...') Einst werden aus meinem Grabe ungezählte, rote Tulpen spriessen. Denn ich fühle eine heiss brennende Sehnsucht nach der Geliebten. Ein grosses Feuer lodert in mir auf. Es muss darum wohl so sein - wenn es auch ein Wunder ist - dass ich einst als Toter noch so (rot) glühen wird...

Lied 4 ('Die jungen Leute lieben...'): Die Jugend liebt farbige Gewänder, genauso wie die Lenzgärten ihre wundervolle Farben. "Doch wehe": Wer - sei er noch so jung - in fremde Länder wandert, trägt einen "schwarzen, trauernden Gewand..."

Lied 5 ('Die Pfirsichblüten flattern...'): Die Pfirsichblüten flattern in der Lenzluft, Bäume spiegeln sich im Bach. Aber der Duft der Pflaumenbäume findet mich "schlaff und müde". Die Verse "gleiten schwer von meinen Lippen"..."Komm, süsse Nacht, ersticke meinen Jammer" und lass mich in deinen "vielgeliebten" Armen schlafen...

Die Aufnahmen
wurden Mai 1951, ein Jahr vor Hans Eberts Tode, von dem Berliner RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) gemacht. Rudolf Schock wird am Klavier von Herbert Heinemann begleitet, der in den Fünfzigern u.a. als Konzertpianist tätig war. Es gibt von ihm Schallplatten-Aufnahmen mit dem Orchester Harry Hermann und der Nordwestdeutsche Philharmonie unter Wilhem Schüchter. Mit Schüchter spielt er Gershwins 'Rhapsody in Blue' en Addinsells 'Warsaw Concerto'.















 



















"Germany's Rudolf Schock" - er zählte damals 35 Jahre - ist 1951 vokal 'at his very, very best': Schocks Gesang ist äusserst schmelzend und geschmeidig, und er trägt die fernöstlichen Lieder buchstäblich aus vollem Herzen vor. Es ist den Tontechnikern von Relief gelungen, das - wie ich verstanden habe - ziemlich mangelhafte Klangbild der alten Rundfunkaufnamen so zu restaurieren, dass Glanz und Natürlichkeit von Schocks Stimme ganz zur Geltung kommen.

Krijn de Lege, 14.10.2010/14.3.2015

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